Universität Stuttgart: Hotspot internationaler Spitzenforschung im Bauwesen
EU und Deutschland: Mit gezielter Forschungsförderung zu mehr Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit
Deutschland und die EU wollen klimaneutral werden und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben. In den Sektoren Verkehr und Energie werden deshalb u.a. die Eisenbahninfrastruktur und ein Wasserstoffkernnetz direkt gefördert (wir berichteten).
Noch früher setzt das 2021 gestartete Förderprogramm Horizon Europe bzw. Horizont Europa an. Es dient der gezielten wissenschaftlichen Forschung zur Bekämpfung des Klimawandels, der Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung sowie dem Erhalt der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit.
Die sogenannte Pathfinder Challenge des Europäischen Innovationsrates (EIC) stellt eine der Hauptförderlinien aus Säule 3 (Innovative Europe) des Horizont-Europa-Programms dar. Hierbei geht es um visionäre Projekte in einem frühen Entwicklungsstadium zu neuen Technologien, die das Potenzial haben, neue Märkte zu schaffen.
An der Universität Stuttgart profitieren gleich drei Forschungsteams von der aktuellen EIC Pathfinder Challenge. Im Themenfeld "Architektur, Ingenieurwesen und Bauwesen - Digitalisierung für einen neuartigen Dreiklang aus Entwurf, Fertigung und Material" werden die Projekte "UniversalTimberSlab", "ArchioBioFoam" und "RAW" gefördert. Alle drei Forschungsvorhaben sind an den 2019 gegründeten Exzellenzcluster "Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur" (IntCDC) angebunden.
UniversalTimberSlab: Maßgeschneiderte Holzdecken für nachhaltige Gebäude in der Stadt
Im Rahmen von UniversalTimberSlab entwickelt ein multidisziplinäres Team aus Nachwuchsforschenden neuartige computergestützte Methoden und robotische Prozesse, um ein ressourcenschonendes System für Holzgeschoßdecken zu planen und herzustellen. Die maßgeschneiderten und leistungsfähigen Holzdecken sind punktgestützt und ermöglichen Planenden laut Hochschule maximale Freiheit im Gebäudeentwurf, so wie es bislang nur mit Geschossdecken aus Stahlbeton möglich war.
Besonders interessant sei das neue Verfahren für Gebäude in Innenstädten, da die Decken auch um 30 Prozent dünner als alternative Holzbausysteme ausgeführt werden können. Unter Koordination des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart beteiligen sich die Institute für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen (itke), für Akustik und Bauphysik (IABP), für Werkstoffe im Bauwesen (IWB) sowie die Materialprüfungsanstalt (MPA) an dem Projekt.
Archiobiofoam: Organische Baustoffe für atmende Gebäude
Das Verbundprojekt "ArchioBioFoam" zielt darauf ab, die CO2-Emissionen im Bausektor zu verringern, indem Beton, Stahl und Glas durch multifunktionale Architektursysteme aus Monomaterialien und robotergestützter additiver Fertigung ersetzt werden. Zu diesem Zweck entwickelt ein interdisziplinäres Team nachhaltige und vielseitige Bioschäume, die mechanisch stabil sind und so "programmiert" werden können, dass sie ihre Form an Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen anpassen. Damit soll das Material nicht nur für die Dämmung, sondern auch für die tragende Struktur und die passive Belüftung von Gebäuden geeignet sein.
Das ICD bringt seine Expertise im Bereich des adaptiven Architekturdesigns und der robotergestützten additiven Fertigung in das Projekt ein. Das Stuttgarter Forschungsteam ist dabei für die Steuerung der Extrusion von Strukturen auf der Basis von Bioschaum mit einem großformatigen 4D-Drucker verantwortlich. ArchioBioFoam wird von der Aalto-Universität in Finnland koordiniert. Weitere Partner sind die Universität von Mailand und das finnische Start-up-Unternehmen Woamy.
RAW: Natürliche und recycelte Materialien für die Kreislaufwirtschaft
Im Konsortium "RAW - Computation for a New Age of Resource Aware Architecture" geht es um den Aufbau einer neuen digitalen Infrastruktur, welche zerstörungsfreie Materialerfassungstechnologien mit einem adaptiven Design bis hin zur Fertigung kombiniert. Dies soll der Bauindustrie erstmals ermöglichen, natürliche Materialien in der Variabilität zu bewerten und zu verwenden, in der sie gewachsen sind oder wiedergewonnen wurden. Hierdurch könnten Prozesse der Materialstandardisierung minimiert werden, die derzeit viel Energie verbrauchen und viel Abfall erzeugen.
Der Schwerpunkt liegt auf wiederverwertetem Holz, Biopolymeren aus landwirtschaftlichen Abfällen und Verbundwerkstoffen aus schnell wachsenden Hanffasern. Auf der Grundlage des Projektes sollen CO2-Emissionen reduziert, die Kreislaufwirtschaft unterstützt und neue ästhetische Möglichkeiten für die Architektur geschaffen werden.
Die Universität Stuttgart bringt ihr Fachwissen auf dem Gebiet der Datenmodellierung und der Naturfasermaterialien über ihre Abteilung für Computing in der Architektur am Institut für rechnergestütztes Entwerfen und Konstruieren (ICD/CA) und das Institut für Baukonstruktionen und Tragwerksplanung (itke) in das Projekt ein. Unter der Leitung der Königlich Dänischen Akademie beteiligen sich fünf weitere europäische Universitäten an RAW.
Exzellenzcluster, Leichtbauinstitut, Robotik-Konsortium: Universität Stuttgart spielt in der ersten Bauforschungsliga
Neben dem Exzellenzcluster IntCDC und dessen beschriebener Beteiligung an internationalen Wissenschaftsprojekten tut sich die Universität Stuttgart in vielen Bereichen der Bauforschung besonders hervor. Seit 2022 steht hier die weltweit erste Gesamtplattform für cyber-physikalisches Bauen (Large-Scale Construction Robotics Laboratory, kurz LCRL).
Bereits 2001 hob Werner Sobek mit der Verschmelzung der Lehrstühle des Architekten Frei Otto und des Ingenieurs Jörg Schlaich das weltweit anerkannte Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) aus der Taufe. Und auch am unlängst gestarteten bundesweiten Konsortium Robotics Institute Germany (RIG) ist man mit dem hochschuleigenen KI-Institut sowie dem Baurobotik-Labor des IntCDC beteiligt.