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Unternehmenskultur - Wie sich der Pudding sehr wohl an die Wand nageln lässt (Teil 1/2)

Verfasst von: Prof. Dr. Mark Oelmann, Dr. Markus Reimann, Christoph Czichy
Veröffentlicht am: 8. Nov. 2022

# 10.11.2022

Warum die Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur der erste Schritt sein muss und wieso dies gar nicht so schwer ist.

Unternehmen, nahezu gleich welcher Branche, werden zunehmend beeinflusst von sich verändernden Rahmenbedingungen und -vorgaben. Aktuell explodieren Strom- und Gaspreise, sich verstärkende Umweltvorgaben oder An-passungen an den Klimawandel treiben Investitionen. Um den demographischen Wandel zu bestehen, müssen Berufseinsteiger integriert und das Wissen Ausscheidender gesichert werden. COVID ließ in der Belegschaft den Wunsch wachsen, verstärkt auch von zu Hause zu arbeiten.

Zur Bewältigung all dieser neuen Herausforderungen prüfen Unternehmen den Einsatz neuer digitaler Techniken. Nicht selten scheitern diese Versuche. Gemäß Erfahrungen aus den verschiedensten Beratungsprojekten aus verschiedenen Branchen kommen wir zu dem Schluss, dass der Grund zumeist in einer zu eingeschränkten Sichtweise auf das Thema Digitalisierung liegt.

Mitarbeitende müssen ein Set an Werten teilen, damit in puncto Digitalisierung Weiterentwicklungen in beispiels-weise Führung oder agilen Arbeitstechniken auf die geteilten Werte hin passgenau erfolgen. Dies bezeichnet die Unternehmenskultur, mit deren Beschreibung und Weiterentwicklungsmöglichkeit auf die neuen Herausforderungen hin dieser Artikel sich befasst.

Er schließt mit praktischen Empfehlungen und wird zeigen, dass Unternehmenskultur eben keinem schwer zu greifenden Pudding gleicht, dem man sich aus sehr diffusem Wissen nicht zu nähern traut. Im Gegenteil: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur ist der Ausgangspunkt dafür, dass eine Weiterentwicklung der Unternehmensausrichtung überhaupt Sinn ergibt.

i. Beispiel Wasserwirtschaft zeigt: Unternehmenskultur zentral

Bild 1 - Quelle: Eigene Darstellung nach Gabler Wirtschaftslexikon [8]
Bild 1 - Quelle: Eigene Darstellung nach Gabler Wirtschaftslexikon [8]

Digitalisierung – kaum ein Begriff wird derzeit so sehr strapaziert und dabei gleichzeitig so unterschiedlich verstanden und genutzt. Um den Nebel dieses Begriffs der Digitalisierung zu lichten, haben das IWW Zentrum Wasser und die MOcons GmbH & Co. KG in zwei (Forschungs-)Projekten das "Reifegradmodell für eine Wasserversorgung 4.0" und das "Reifegradmodell für eine Abwasserentsorgung 4.0" entwickelt. (s.u. Quelle 1 und 2)

Zusammen mit 15 bzw. 17 Praxispartnern aus der Branche wurden die Modelle konzipiert, um den digitalen Status quo eines individuellen Wasserver- oder Abwasserentsorgers strukturiert ermitteln zu können. Auf Basis einer individualisierten Erhebung bei einem Wasserver- oder Abwasserentsorger lässt sich so der Status quo in puncto Digitalisierung bestimmen und eine Digitalisierungsstrategie ableiten.

In Anlehnung an die beiden Reifegradmodelle hat die Hochschule Ruhr West mit Unterstützung von MOcons und dem IWW Zentrum Wasser sowie in Partnerschaft mit BDEW, VKU und DVGW den "1. HRW-Digitalisierungsindex für die Wasserwirtschaft" veröffentlicht. (s.u. Quelle 3) Hierzu wurden 45-minütige Telefoninterviews mit ca. 190 Wasserver- und Abwasserentsorgern geführt, um Einblicke in den digitalen Entwicklungsstand der gesamten Branche zu erlangen.

Die Erhebungen für den Digitalisierungsindex bestätigen eine zentrale Annahme: Digitalisierung darf nicht ausschließlich aus einem technologischen Blickwinkel betrachtet werden. Die Bestandsaufnahme erfolgt daher in vier Themenfeldern: Neben "Informationssystemen" und "Ressourcen" werden die Aspekte "Organisation" und "Unternehmenskultur" intensiv beleuchtet. Bemerkenswert ist, dass von den Interviewpartnern regelmäßig die Bedeutung der Unternehmenskultur hervorgehoben wurde.

Diesen Umstand bestätigt auch die Wissenschaft für viele andere Branchen. Seit den 1980er Jahren haben Forschungen aus der Betriebswirtschafts- und Managementlehre ebenso wie wirtschafts- und organisationspsychologische Untersuchungen nachgewiesen, dass die Kultur eines Unternehmens oder einer Organisation in erheblichem Umfang positiven Einfluss auf deren wirtschaftlichen Erfolg, die Mitarbeiterbindung oder die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat. (s.u. Quelle 4) Die Kultur einer Organisation hat daneben auch erheblichen Einfluss auf die Anpassungsfähigkeit und organisationale Resilienz eines Unternehmens. (s.u. Quelle 5)


ii. Warum findet Unternehmenskultur nicht mehr Beachtung?

Trotz dieser wertschöpfenden und sinnstiftenden Wirkung von Unternehmenskultur stellt die MIT-Professorin Deborah Ancona fest: "Leadership often underestimates the importance of culture" – (dt.: Führung unterschätzt häufig die Wichtigkeit von Kultur). (s.u. Quelle 6)

Warum ist das so? Warum tun sich Führungskräfte und Manager so schwer mit dem Thema der Unternehmenskultur? Drei Hypothesen liegen hier nahe:

  1. Unwissenheit: In der Ausbildung von Managern und Führungskräften wird – auf den ersten Blick über-zeugend – viel Wert auf wirtschaftliche Kenntnisse gelegt. Doch obwohl es bei der Leitung von Unternehmen natürlich immer auch um die Führung von Menschen geht, werden die Erkenntnisse der Organisationspsychologie oder der Gehirnforschung regelmäßig in bemerkenswertem Ausmaß ignoriert.

    In den sogenannten "Business Cases" kommen regelmäßig Aspekte der Personalführung, Motivation oder Unternehmenskultur nicht in Betracht – es sei denn im Kontext zu verändernder Headcounts.

  2. Unglauben: Gegen vielfach dokumentierte Erfahrungen und veröffentlichte Beispiele werden nach wie vor die gleichen Fehler bei der Organisationsentwicklung gemacht. Nach dem Scheitern von Fusionen wird ebenso wie nach aus dem Ruder gelaufenen Veränderungsprojekten immer wieder bekannt, man habe den kulturellen Aspekten zu wenig Bedeutung beigemessen. Dieses Verhalten erinnert an das im doppelten Wortsinn treffende Bonmot: "Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und auf ein anderes Ergebnis zu hoffen".

  3. Scheinbare Unberechenbarkeit und Unerklärbarkeit: In den oben angeführten Umfragen zum Digitalisierungsindex für das Beispiel der Wasserwirtschaft war die Frustration (und teilweise Hilflosigkeit) bezüglich des Umstands zu spüren, dass Unternehmenskultur als so schwer greifbar erscheint.

    Jedoch gibt es verschiedene miteinander kompatible Ansätze, die hier für Klarheit und damit eine Diskutierbarkeit sorgen können. So kann dieses komplexe Thema aus dem Nebel des Mystischen herausgeholt und zum Gegenstand der Organisationsentwicklung gemacht werden.


iii. Definition Unternehmenskultur

Bild 2 - Quelle: Eigene Darstellung nach Schein und Schein [7]
Bild 2 - Quelle: Eigene Darstellung nach Schein und Schein [7]

Als Unternehmenskultur werden die Werte, Normen und Überzeugungen verstanden, die Menschen in Organisationen miteinander teilen. Es ließe sich auch sagen, Unternehmenskultur beschreibe die Art, wie gearbeitet wird, ohne dass die Beteiligten sich dessen immer bewusst sind. Das macht die Reflexion über Unternehmenskultur komplex: Wie kann man an etwas arbeiten, dessen man sich nicht bewusst ist oder von dem vielleicht nur eine vage Ahnung besteht?

Es gibt verschiedene Modelle, die eine Beschreibung der Unternehmenskultur anbieten. Bekannt ist zum einen das sogenannten Drei-Ebenen oder Eisberg-Modell des US-amerikanischen MIT-Professors Edgar Schein. Ihm zufolge besteht die Kultur einer Organisation bzw. eines Systems aus sichtbaren Bestandteilen und unsichtbaren, teilweise ungeschriebenen und oft unbewussten Elementen. Kultur manifestiere sich zum Beispiel sichtbar durch Organisationsprinzipien, Sprache, Kleidung, Geschichten und Mythen, festgeschriebenen Entlohnungs- und Führungsprinzipien, Logos, Titelstrukturen, Büroarchitektur, Beförderungspolitik etc.

Wichtiger seien jedoch die nicht sichtbaren Elemente einer Kultur, nämlich die Werte und Grundannahmen, die teilweise völlig unbewusst und soweit unter der sichtbaren Oberfläche angesiedelt sind, dass Mitarbeitende sie selbst nicht benennen können. (Bild 2)

Ähnlich geht das sogenannte 7S-Modell der früheren McKinsey-Berater Thomas J. Peters und Robert H. Waterman vor. Sie beschreiben sieben Kernvariablen eines Unternehmens, die für die Ausrichtung und Entwicklung einer Organisation von grundsätzlicher Bedeutung seien. Es handelt sich dabei um die Aspekte Strategie, Struktur, Systeme, Unternehmenskultur und Führung, Menschen/Mitarbeiter, Fähigkeiten und Werte. Jede dieser Variablen stehe mit jeder anderen in einer Wechselbeziehung. In grafischen Darstellungen wird der Parameter "Werte" jedoch regelmäßig in der Mitte angesiedelt. (Bild 1)

Diese Anordnung im Zentrum hat einen guten Grund: Die in einem Unternehmen vorhandenen Werte sind die Basis aller weiteren Parameter. Eine Unternehmenskultur im Sinne von Edgar Schein ist dann in sich stringent, wenn das Verhalten des Einzelnen, die Führung sowie etwa die Artefakte (wie z. B. die Büroeinrichtung) in adäquatem Bezug zu den Werten stehen. Auch das 7S-Modell würde argumentieren, dass etwa Aufbauorganisation, Unternehmensstrategie oder Arbeitsorganisation unmittelbar Bezug zu den gemeinsamen Werten haben sollten.

Und wie geht die aktuelle Praxis vor? Methoden des agilen Arbeitens werden vorangetrieben, weil es gerade "in" zu sein scheint. Neue Führungsstile werden eingeführt, aber nicht wirklich gelebt. Junge, technisch affine Mitarbeitende werden eingestellt und in den Abteilungen in kürzester Zeit "verbrannt". Unsere Antwort darauf ist: In der Organisationsentwicklung im ganzheitlichsten Sinn wird die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten als Ausgangsvoraussetzung für alles dann Folgende unterlassen.


iv. Bestimmung eines Status quo der geteilten Werte

Bild 3 - Quelle: 9Levels-Institut
Bild 3 - Quelle: 9Levels-Institut

Beide obigen Modelle postulieren die Bedeutung der zentralen Werte einer Organisation, zeigen aber nicht, wie sich diese bestimmen lassen. Eine Antwort darauf liefern die "9Levels of Value Systems", ein Wertemodell, das auf die Forschungen des US-amerikanischen Psychologen Clare Graves zurückgeht.

Gemäß diesem Modell gibt es bestimmte Wertekanons, nach denen sich Individuen, Teams oder Organisationen bewusst oder unbewusst ausrichten.

Das 9Levels-Modell bietet mit einem wissenschaftlich evaluierten Testverfahren die Möglichkeit, die schwer zu beschreibenden Werte messbar und damit bearbeitbar zu machen. Damit bietet es eine valide Analysemöglichkeit im Rahmen von Veränderungsprozessen oder der Organisationsentwicklung. Entwickelt wurde es von dem deutschen Unternehmensberater Rainer Krumm. (s.u. Quelle 9)


v. Auseinandersetzung mit den geteilten Werten als erster Schritt

Bild 4 - Quelle: Beispielhafte Ergebnisabbildung aus durchgeführten Projekten
Bild 4 - Quelle: Beispielhafte Ergebnisabbildung aus durchgeführten Projekten

Das 9Levels-Modell unterstützt die Bestimmung des Ausgangszustands über die geteilten Werte im Kreis einer Geschäftsführung, innerhalb einer Abteilung oder innerhalb eines gesamten Unternehmens. Methodisch werden hier Links zu Online-Fragebögen versendet, die die einzelnen Personen ausfüllen.

Angeraten ist eine individuelle Nachbesprechung mit dem zertifizierten 9Levels-Trainer, bevor sodann die Implikationen für die zu untersuchende Gruppe in Workshops herausgearbeitet werden. Diese Abläufe scheinen hinreichend erprobt.

Der Mehrwert einer solchen Auseinandersetzung mit den eigenen Werten ist regelmäßig statisch sowie dynamisch beschreibbar. In der Ausgangssituation wird etwa erklärbar, wieso ein neuer Geschäftsführer mit einem "gelben" Wertekanon möglichweise Schwierigkeiten hatte, Mitarbeitende mit einem "roten" oder "blauen" Wertekanon zu erreichen und mit welchen Maßnahmen diese Diskrepanz zu überwinden sind.

Das Modell hilft die Ursachen zu ergründen, wieso es möglicherweise nicht gelingt, junge Mitarbeitende dauerhaft im Unternehmen zu halten. Es offenbart, wieso "hippen Kreativlaboren" mit Plüschsesseln seitens der Belegschaft mitunter mit Stirnrunzeln begegnet wird.

Im dynamischen Kontext hilft die Ausgangsbestimmung der gemeinsamen Werte gemeinschaftlich zu diskutieren, ob denn die bestehende Unternehmensverfasstheit den sich verändernden Herausforderungen auch weiterhin gerecht wird. Es lässt sich festlegen, mit welchen Schritten die Unternehmenskultur fortentwickelt werden kann.

In Abhängigkeit der Ausgangssituation der Werte werden aber sehr unterschiedliche Wege zu gehen sein. Während für einen Weiterentwicklungsprozess in dem einen Unternehmen ein partizipativer Führungsstil geeignet sein könnte, wäre dies in einem anderen Unternehmen gerade nicht der Fall.



QUELLEN UND VERWEISE:

Unternehmenskultur - Wie sich der Pudding sehr wohl an die Wand nageln lässt (Teil 2/2)
Hochschule Ruhr West
MOcons GmbH & Co. KG