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Vergabe: Zusatzpunkte für nicht geforderte Fleißarbeit unzulässig

Verfasst von: Prof. Dr. jur. Günther Schalk, FA für Bau- und Architektenrecht
Veröffentlicht am: 28. Jan. 2025
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Das Vergaberecht ist in vielerlei Hinsicht manchmal eine eigenartige Materie. Es ist überaus formell veranlagt – zumindest offiziell. Tatsächlich passieren gerade im Vergaberecht hinter den Kulissen vielfach Dinge, die sich weit jenseits des Vergaberechts bewegen, die aber in keiner Weise "geahndet" werden, weil sie kein Beteiligter überhaupt mitbekommt. Anders lag der Sachverhalt in einem Fall, der die Vergabekammer Südbayern in München beschäftigte.

Tauziehen
Beim "Tauziehen" um den Zuschlag im Rahmen einer öffentlichen Vergabe dürfen Bieter nicht mit Leistungen punkten, die vorher explizit ausgeschlossen wurden. Foto: S. Hofschlaeger / Pixelio

Fall: Auftraggeber fordert explizit keine Planungsleistungen von Bietern

Ausgeschrieben waren Planungsleistungen in einem Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. Der Auftraggeber hatte eine Reihe von Zuschlagskriterien bekannt gemacht. Darin waren unter anderem folgende Punkte enthalten:

  • Angaben zur Projekteinschätzung wie zur Umsetzbarkeit des vorliegenden Projekts
  • Anmerkungen "in Bezug auf Funktionalität und Gestaltung"
  • Methoden zur Qualitätssicherung
  • Kostensicherheit und Terminsicherheit

In dem Aufforderungsschreiben fand sich allerdings auch eine Begrenzung wie folgt: "Anmerkung: Es werden keine Planungsleistungen, sondern vielmehr konzeptionelle, übergeordnete Aussagen auf Grund Ihrer Erfahrungen und Einschätzungen zum Projekt erwartet." Die Ausführungen sollten nicht mehr als 100 Seiten umfassen.

Ein Bieter war besonders fleißig, wie sich in der entscheidenden Gemeinderatssitzung der Auftraggeberin zeigte. Er legte nicht nur die geforderten Angaben und zu bearbeitenden Punkte vor, sondern zeigte bereits konkrete Vorschläge für Grundrisse, Überlegungen zur Konstruktionsweise und zur Materialauswahl. Der Gemeinderat war derart entzückt, dass er diesem Bieter Zusatzpunkte für die Fleißarbeit gab.

Vergabekammer: Wer Lösungen nach § 77 Abs. 2 VgV ausschließt, darf diese auch nicht erwarten 

Das wiederum stank einem anderen Bieter, der sich brav an die Vorgaben gehalten hatte und jetzt mit weniger Punkten nach Hause gehen sollte. Er beantragte ein Vergabenachprüfungsverfahren – und bekam Recht. Hier sind die Leitsätze der VK Südbayern (Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27) in Auszügen:

  1. (…)
  2. Ein Bieter ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn zwar die Bewertung seines eigenen Angebots vom Beurteilungsspielraum des Auftraggebers gedeckt ist, die Bewertung des Angebots des zum Zuschlag vorgesehenen Bieters aber derart fehlerhaft ist, dass sich eine andere Bieterreihenfolge ergeben könnte.

  3. Bei der Umrechnung von Preisen in Bewertungspunkte muss der Auftraggeber eine mathematisch nachvollziehbare Methode vor Kenntnis der Angebote festgelegt haben und diese auch anwenden. Eine Preisbewertungsmethode darf wegen der hohen Manipulationsgefahr nicht nachträglich in Kenntnis der Angebote festgelegt werden.
  4. Auch bei der Preisbewertung von Honorarangeboten von Architekten und Ingenieuren, die in Anlehnung an die Vorschriften der HOAI erstellt werden, dürfen nur solche Methoden eingesetzt werden, die zum einen rechnerisch nachvollziehbar sind und zum anderen die relativen Preisabstände zwischen den Angeboten widerspiegeln können.

  5. Die Angebotswertung ist ureigene Aufgabe des Auftraggebers und darf nicht vollständig an einen Verfahrensbetreuer delegiert werden. Aus diesem Grund darf der Verfahrensbetreuer auch nicht nach Befassung des zuständigen Gremiums des Auftraggebers die diesem vorgelegte Benotung eines Angebots eigenmächtig ändern.
  6. Nimmt der Auftraggeber bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen Formulierungen wie "es werden keine Planungsleistungen erwartet" in die Vergabeunterlagen auf, die dafür sorgen sollen, dass die Bieter keine Ansprüche auf eine angemessene Vergütung für Lösungsvorschläge nach § 77 Abs. 2 VgV geltend machen können, darf er nicht gleichzeitig für eine gute Bewertung des Angebots voraussetzen, dass die Bieter überobligatorisch und ohne Vergütung fundierte Lösungsvorschläge i.S.d. § 77 Abs. 2 VgV einreichen.

Fazit: Auftraggeber ist an eigene Bekanntmachung gebunden 

Die Kernfrage des Falls – neben durchaus für Vergabeverfahren aufschlussreichen Zusatzinformationen in den übrigen Leitsätzen – beantwortet die Vergabekammer Südbayern im Leitsatz Nr. 6. Der Auftraggeber legt vor Beginn des Wettbewerbs fest, welche Kriterien er erfüllt haben möchte.

Wenn er sich hier klar dazu äußert, dass er keine Planungsleistungen erwartet, darf er dann auch nicht Zusatzpunkte in der Wertung vergeben, wenn ein Bieter besonders fleißig ist und doch Planungsleistungen vorlegt. Vielmehr ist der Auftraggeber an das gebunden, was er ursprünglich bekannt gemacht hat, auch wenn er es sich nachträglich gerne anders überlegt hätte.