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Vergaberecht: VK Sachsen trifft Lehrbuchentscheidung

Verfasst von: RA Prof. Dr. jur. Günther Schalk
Veröffentlicht am: 14. Dez. 2022
Kategorie:
  • Zuschlag für billigsten Anbieter kein Automatismus
  • Auftraggeber muss zu niedrigen Preis aufklären
  • Vergabekammer benennt Vorgaben für Preisprüfung

Auftraggeber muss Aufgreifschwelle beachten

Auftraggeber dürfen dem niedrigsten Angebot nicht unreflektiert den Zuschlag erteilen. Foto: Rainer Sturm / Pixelio
Auftraggeber dürfen dem niedrigsten Angebot nicht unreflektiert den Zuschlag erteilen. Foto: Rainer Sturm / Pixelio
Das wirtschaftlichste Angebot erhält den Zuschlag, sagt das Vergaberecht. Wenn ein Angebot allerdings zu günstig ist (die so genannte "Aufgreifschwelle" liegt bei einem Abstand des Erstbieters zum Zweitbieter von rund 20 Prozent), darf der Auftraggeber nicht einfach den Zuschlag darauf erteilen, sondern muss den (zu?) niedrigen Preis aufklären.
Wie das geht und was der Bieter bei Unklarheiten in den Vergabeunterlagen zu tun hat, zeigt fast schon lehrbuchartig die Entscheidung der Vergabekammer Sachsen vom 14.06.2022 (1/SVK/006-22) auf:
  1. Mit Vorgaben, welche die Leistungsinhalte des Angebots, dessen Kalkulation und basierend darauf, dessen Wertung betreffen, muss sich der Bieter gezwungenermaßen schon vor Abgabe seines Angebots auseinandersetzen. Deshalb muss ein Bieter, der geltend macht, aufgrund der Angaben im Leistungsverzeichnis an einer wirtschaftlichen Kalkulation seines Angebots gehindert gewesen zu sein, oder geltend macht, die Angaben im Leistungsverzeichnis zu den Mengen und Aufwänden seien als Kalkulationsgrundlage zu unbestimmt gewesen, dies spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe rügen.
  2. Ein Aufklärungsverlangen kann rechtswidrig sein, wenn der öffentliche Auftraggeber eine Aufklärung über den Preis verlangt, ohne dass die Voraussetzungen der Prüfung vorliegen, also der Abstand des Angebots zu den weiteren Angeboten keinen Anlass zur Annahme bietet, es sei im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig. Besteht kein Grund für die Annahme, der Angebotspreis sei unangemessen niedrig, kann der Ausschluss eines Angebots nicht auf eine unzureichende Mitwirkung des Bieters bei einer etwaig überflüssigen Aufklärung gestützt werden.
  3. Ein Aufklärungsverlangen zu den Grundlagen der Preisermittlung eines Bieters ist dahingegen zulässig, wenn der Auftraggeber einem für die Vergabeentscheidung erheblichen Informationsbedürfnis folgt, wenn die geforderten Angaben geeignet sind, dieses Informationsbedürfnis zu befriedigen, und wenn dem Auftraggeber die Erlangung dieser Informationen nicht auf einfachere Weise möglich ist.
  4. Die Preisprüfung hat in vier Schritten zu erfolgen. In einem ersten Schritt identifiziert der öffentliche Auftraggeber zweifelhafte, d. h. niedrige Angebote und prüft, ob der Preis oder die Kosten dieses Angebots ungewöhnlich niedrig zu sein "scheinen". In einem zweiten Schritt hat der Auftraggeber dem betreffenden Bieter die Möglichkeit zu geben, die Gründe darzulegen, aus denen er der Ansicht ist, dass sein Angebot nicht ungewöhnlich niedrig ist. Der Auftraggeber hat sodann in einem dritten Schritt die Stichhaltigkeit der gegebenen Erläuterungen zu beurteilen und festzustellen, ob das in Rede stehende Angebot ungewöhnlich niedrig ist. In einem vierten Schritt hat er seine Entscheidung über die Zulassung oder Ablehnung dieser Angebote zu treffen.

Vergabeunterlagen immer auf Mängel, Unvollständigkeiten oder Widersprüche prüfen

Wichtig: Ein Bieter muss die Vergabeunterlagen, die er vom Auftraggeber bekommt, gleich prüfen, ins Auge springende (also für eine durchschnittliche Baufirma erkennbare) Mängel, Unvollständigkeiten oder Widersprüche darin finden und – das ist wichtig – vor Angebotsabgabe(!) beim Auftraggeber hinterfragen.

Und das bitte schriftlich, damit es dokumentiert ist. Andernfalls läuft der Unternehmer Gefahr, dass er hinterher mit Ansprüchen auf Mehrvergütung, Bauzeitverlängerung und Schadensersatz Schiffbruch erleidet.

QUELLEN UND VERWEISE:

Leistungsphase 7: Vorsicht bei extrem niedrigen Angeboten
UnternehmerBrief Bauwirtschaft (Zeitschrift)