Vergaberüge: Wie Ausschreibungsmängel vor Angebotsabgabe beanstandet werden
Öffentliche Ausschreibungen häufig fehlerhaft
Bauunternehmen, die sich regelmäßig für öffentliche Aufträge bewerben, können ein Lied davon singen: Ausschreibungen werden qualitativ aktuell nicht besser. Der Fachkräftemangel schlägt auch hier durch. Planungen, die öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen herausgeben, oder entsprechende Leistungsbeschreibungen weisen immer wieder Fehler, Unstimmigkeiten und Widersprüche auf. In solchen Fällen muss ein Bieter bereits vor Angebotsabgabe derartige Mängel in den Ausschreibungsunterlagen hinterfragen, also beim Auftraggeber beanstanden.
Die simple Frage in der Praxis lautet: Wie macht man das am besten? Gleich mit vermeintlichen Kanonen auf Spatzen schießen und eine Vergaberüge einreichen? Oder erst einmal vorsichtig im Rahmen einer Bieterfrage nachfragen, um den Auftraggeber nicht zu verärgern?
Bieterfrage kann Vergaberüge enthalten oder nicht
Die Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 8.5.2024, VK 2-35/24) hat hierzu aktuell entschieden:
- Eine reine Bieterfrage, wie etwa eine Verständnisfrage, stellt keine Rüge dar. Eine Rügenotwendigkeit wird im Regelfall erst ausgelöst durch die Antwort des Auftraggebers auf die Frage. Abzustellen ist jedoch stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls.
- Hat der Bieter die Vorgaben der Ausschreibung vollständig verstanden, akzeptiert aber diese Vorgaben inhaltlich nicht und weist in Gestalt einer Frage auf die seines Erachtens damit verbundenen Probleme hin, verlangt er ganz konkret eine Abänderung, sodass eine Rüge vorliegt.
- Eine Rüge in Gestalt einer Bieterfrage setzt die Frist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB in Gang.
Nachprüfungsantrag innerhalb von 15 Kalendertagen einreichen
In dem konkreten Fall hatte ein Bieter in einer europaweiten Ausschreibung Fragen zu nachträglich vorgenommenen Änderungen in den Vergabeunterlagen gestellt. Im Rahmen einer dieser Fragen kritisierte er, dass bestimmte Leistungen aufgrund der Angaben des Auftraggebers nicht kalkulierbar seien. Der Auftraggeber wiederum antwortete ablehnend.
Der Bieter ließ sich das nicht gefallen und leitete ein Nachprüfungsverfahren ein, allerdings erst einige Wochen nach Eingang der Antwort des Auftraggebers. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück.
Die Begründung: Bei der Eingabe des Bieters habe es sich um eine Vergaberüge gehandelt, sodass der Bieter innerhalb von15 Kalendertagen nach Eingang des Antwortschreibens des Auftraggebers bei ihm einen Nachprüfungsantrag hätte einreichen müssen. Eine Rüge muss demnach nicht als "Vergaberüge" offiziell bezeichnet sein. Es reicht, wenn der Inhalt so lautet, dass man eine Vergaberüge "herauslesen" kann.
Öffentliche Auftraggeber immer an wirtschaftlichstes Angebot gebunden
Die Angst, dass der Auftraggeber über eine Rüge verärgert sein könnte, ist bei einem öffentlichen Auftraggeber jedenfalls aus rechtlicher Sicht unbegründet.
Wenn ein Angebot vollständig ist, kein Grund zur Beanstandung besteht und der Bieter im Übrigen geeignet ist, kann ein öffentlicher Auftraggeber einen Bieter nicht vom Zuschlag ausschließen, nur weil er sich über ihn ärgert.
Der Auftraggeber muss dem Bieter, der das wirtschaftlichste Angebot eingereicht hat, den Auftrag geben, ob er will oder nicht.
Vergaberüge "ins Blaue hinein" für Bauunternehmen nicht hilfreich
Zum Thema Vergaberüge gibt es noch eine weitere Gerichtsentscheidung, die für Baufirmen in folgender Lage relevant ist: Sie sind vom Bauchgefühl her der Überzeugung, dass bei der Vergabe etwas schiefgelaufen ist und der Auftraggeber beispielsweise einem Mitbewerber den Zuschlag geben möchte, von dem der jeweilige Bieter zu wissen glaubt, dass er beispielsweise die Eignungskriterien, wie Mindestumsatz, nicht erfüllt.
Da eine Baufirma bzw. ein Bieter allerdings - logischerweise - keine genauen Informationen über das Angebot der anderen Firma hat, sondern lediglich Vermutungen, bleibt manchmal nichts anderes übrig, als sozusagen auf Verdacht eine Vergaberüge einzureichen.
Eine solche "Rüge ins Blaue hinein" hilft ihm laut einer Entscheidung der Vergabekammer Berlin vom 7.11.2023 (VK B 1-15/22) aber nicht wirklich weiter:
- Bei der Bewertung von Qualitätskriterien wie Konzepten genießt der öffentliche Auftraggeber einen nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum.
- Die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet die Vergabestelle erst dann, wenn sie ein vorgeschriebenes Verfahren nicht einhält; von einem unzutreffenden oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht; sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich waren; oder bei der Entscheidung ein sich sowohl im Rahmen des Gesetzes als auch im Rahmen der Beurteilungsermächtigung haltender Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt wurde.
- Der öffentliche Auftraggeber hat die Gründe zu dokumentieren, die zur Auswahl des erfolgreichen Angebots führen. Dabei hat er darzulegen, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind.
- Auch wenn einem Unternehmen der für eine substanziierte Rüge notwendige Einblick in das Angebot des Bestbieters regelmäßig fehlt, ist eine rein spekulativ „ins Blaue hinein“ abgegebene Rüge unzulässig. Das Unternehmen muss sämtliche ihm offenstehende Erkenntnismöglichkeiten nutzen und darlegen, woraus sich seine Erkenntnisse ergeben.