Verhandlungsführung und Konfliktmanagement: Fehlannahmen und Lösungswege
# 08.09.2020
Konfrontationen im Baugeschäft durch Mangel an Vertrauen vorprogrammiert. Punktueller Interessenausgleich besser als sture Gleichbehandlung. Deutsche Direktheit nicht immer zielführend
Von Preiskämpfen bis Partnerschaft – buntes Miteinander im Baugeschäft
Für geschäftliche Beziehungen im Allgemeinen und das Baugeschäft im Besonderen gibt es viele umschreibende Bilder.
Sie reichen von negativ konnotierten Metaphern wie "Konkurrenzkampf" oder "Preiskampf", über den relativ neutralen Begriff des "Marktes" mit "Anbietern" und "Kunden" bis hin zur positiv aufgeladenen Vorstellung einer "Partnerschaft" auf "Augenhöhe".
All diese Vorstellungen lassen bereits erahnen, wie das jeweilige Miteinander der Beteiligten zu charakterisieren ist. Schauplatz dieses Miteinanders sind die zahlreichen Verhandlungssituationen während eines laufenden Bauprojekts.
Hinzu kommen ein häufig hoher Zeit- und Erfolgsdruck, eine gewisse Abhängigkeit der Vertragsparteien voneinander, unklare Sachverhalte und ein ständiger Anpassungsbedarf des vertraglichen Gleichgewichts. Nicht wenige Akteure kommen dabei an die Grenzen ihrer persönlichen Belastungsfähigkeit. Somit ist die Gemengelage rund um die Verhandlungen im Baugeschäft stark von Faktoren bestimmt, die Konflikte begünstigen.
Verhandlungen führen und Konflikte managen
Kompetenzen in der Verhandlungsführung und im Konfliktmanagement scheinen vor diesem Hintergrund unerlässlich. Eben diese Kompetenzen werden zunehmend auch in Aus- und Weiterbildungen für Bauingenieure und Bauleiter erworben. Ein Anbieter entsprechender Kurse ist die Leuphana Universität Lüneburg.
Hier forschen und lehren Carolin Schuster, Professorin für Sozialpsychologie, und Marco Warsitzka, Verhandlungscoach und Lehrbeauftragter. Beide wissen, wie Konflikte und Einigungen im Bauprojekt im Verhältnis zum Projekterfolg stehen. Zunächst ist dabei die schriftliche Fixierung der Zusammenarbeit, also der Bauvertrag zu betrachten.
Den Bauvertrag nicht als Nullsummenspiel betrachten
Hier wollen Schuster und Warsitzka zunächst über falsche Erwartungen aufklären: "Eine typische Fehlannahme bei der Ausgestaltungsrunde des Bauvertrages ist, einen Vertragsabschluss als ein Nullsummenspiel zu betrachten, bei dem der Gewinn zwischen den Parteien verteilt wird. Dies macht die Vertragspartner gewissermaßen zu Wettbewerbern um das größte Stück vom Kuchen."
Dabei werde nach Einschätzung der Experten außer Acht gelassen, dass man durch eine genaue und kreative Berücksichtigung der jeweils wichtigsten Interessen und verfügbaren Ressourcen der Vertragspartner den Wert des Gesamtprojekts vergrößern kann, so dass alle Vertragspartner davon profitieren. Mit Ressourcen sind in diesem Zusammenhang laut Schuster und Warsitzka Kontakte, zeitliche Flexibilität oder auch Prestigegewinne gemeint.
Informationsfluss im Projekt: Wie du mir, so ich dir
Denkbar ungünstig ist es, wenn zwar ein Vertrag zustande gekommen ist, das gegenseitige Vertrauen jedoch zu wünschen übriglässt. Eine Folge kann dann das Vorenthalten wichtiger Informationen sein.
Hier sieht Marco Warsitzka alle Beteiligten in der Pflicht. Jeder Einzelne könne proaktiv Vertrauen aufbauen, indem er Informationen preisgibt. Warsitzka empfiehlt die sogenannte tit for tat-Strategie:
"Teilt der eine Vertragspartner eine Information mit dem anderen, so sollte dieser ihm seine Wertschätzung dafür zeigen, indem er dasselbe tut. Erfährt der eine hingegen, dass der andere ihm etwas Wichtiges vorenthält, so tut er dies auch." Dadurch würde ein Lernprozess generiert, welcher bei der säumigen Partei zu der Erkenntnis führt, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, Informationen nicht vorzuenthalten, so Warsitzka.
Bauverhandlungen: Guter Ruf schafft Vertrauen
"Ein anderes wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Reputation, die man sich als Verhandlungs- und Vertragspartner aufbaut", ergänzt Marco Warsitzka. Wenn einem der Ruf vorauseile, ein integrer Verhandlungspartner zu sein, werde ihm eher Vertrauen entgegengebracht, erklärt er.
"Hat man jedoch den Ruf einen Vertrags- und Verhandlungspartners, der jede Gelegenheit nutzt, um die andere Seite zu übervorteilen, so ist es nicht verwunderlich, wenn einem Informationen vorenthalten werden."
Schlagabtausch nach Konfrontation nützt keiner Partei
Während eine gute Verhandlungsführung bzw. ein integres Projektmanagement zu einem tragfähigen Vertrauensverhältnis beitragen kann, ist im Falle einer Konfrontation, womöglich begleitet durch unfreundliche Worte oder gar Beschimpfungen, nur noch das Konfliktmanagement gefragt.
Auch hierfür können konkrete Lösungswege benannt werden. "Wichtig ist es zunächst", so Carolin Schuster, "die Gespräche an solchen Punkten zu pausieren und Entscheidungen nicht in dieser hitzigen Verfassung zu treffen, sondern zunächst den Kopf etwas abzukühlen und die Situation sachlich zu analysieren."
Anders als beim Verhandeln sollte im Konfliktfall gerade nicht das Verhalten des Gegenübers gespiegelt werden, auf persönliche Angriffe sollte also nicht ebenso persönlich reagiert werden. Vielmehr kann der Hinweis, dass ein solcher Schlagabtausch beide Seiten nicht weiterbringt, deeskalierend wirken.
Projektabbruch sorgsam prüfen
Häufig kommt man in solchen Situationen alleine nicht weiter. Gut ist es dann, wenn eine neutrale Person als Mediator oder Schlichter eingeschaltet werden kann, besser noch, wenn diese Person bereits vorab vertraglich festgelegt wurde.
Carolin Schuster weist darauf hin, dass es durchaus auch sinnvoll sein kann, das Für und Wider einer weiteren ggf. schwierigen Kooperation und ihrer Alternativen abzuwägen. Fragen die man sich in diesem Fall stellen sollte sind:
- Welche Kosten wären mit einem Ende der Zusammenarbeit verbunden, auch angesichts des in diesem Falle wahrscheinlichen Verhaltens der Gegenpartei?
- Welche Erfolge und Gewinne können immer noch erzielt werden, wenn man sich zusammenrauft?
- Was wird gebraucht, damit wieder eine Grundlage für die Kooperation entsteht (z.B. ein Wechsel des Ansprechpartners, eine Entschuldigung, ein Entgegenkommen in einer bestimmten Frage)?
Kompromisse: Gleichbehandlung bedeutet nicht Win-Win
Wollen Vertragspartner aus guten Gründen trotz eines größeren Konfliktes wieder zueinanderfinden, muss dem eine gewisse Kompromissbereitschaft zugrunde liegen.
Dabei sollte, wie in vielen Bereichen, auch hier Gerechtigkeit nicht mit Gleichheit verwechselt werden. Tatsächlich raten die Sozialwissenschaftler Schuster und Warsitzka von einem "Treffen in der Mitte" ab:
"Es ist typisch für Verhandlungen, in denen sich die Parteien auf solche Kompromisse einigen, dass niemand wirklich richtig zufrieden ist. Diese Unzufriedenheit hat auch eine reale Grundlage, denn häufig wird hier buchstäblich Wert 'auf dem Tisch liegen' gelassen."
Das sei dann der Fall, wenn die unterschiedlichen Verhandlungsthemen für die Projektpartner unterschiedlich wichtig waren, diesem Umstand aber durch gleich große Zugeständnisse bei allen Verhandlungsthemen nicht Rechnung getragen wurde, so Schuster und Warsitzka.
Um dies zu vermeiden, sollten die Vertragspartner bei den für sie besonders wichtigen Themen hart bleiben und keine vorschnellen Zugeständnisse machen, dafür aber bei den für sie weniger wichtigen Themen mehr Flexibilität zeigen. Tun beide Projektpartner dies konsequent, ist es möglich, die viel zitierten Win-Win-Lösungen zu erzielen. Hierbei sind sich dann die Vertragspartner wechselseitig bei den für sie unterschiedlich wichtigen Themen stark entgegenkommen, statt sich überall in der Mitte zu treffen.
Streitkultur: Direktheit vs. Vertrauenspflege
In der Baubranche sind Verhandlungsrunden mit internationaler Beteiligung keine Seltenheit. Dabei kann man durchaus unterschiedliche Kulturen der Verhandlung und auch des Streits wahrnehmen.
Carolin Schuster hat in der speziellen "deutschen Konfliktkultur" Stärken entdeckt, die ihrer Meinung nach zugleich als Schwächen definiert werden können: "Dadurch, dass im Vergleich zu anderen Kulturen das Grundvertrauen in andere Menschen und in das Rechtssystem relativ groß ist, wird weniger Zeit auf den Vertrauensaufbau und die Beziehungspflege zum Gegenüber aufgewendet. Wenn das Vertrauen enttäuscht werden sollte, schützt einen ja noch das Recht."
Und Marco Warsitza ergänzt: "Werden Erwartungen nicht erfüllt, ist es hierzulande üblich, dies direkt und ggf. konfrontativ anzusprechen. Das ist dann zwar für das Gegenüber in der Sache leichter zu verstehen, erfordert aber auch eine hohe Gelassenheit und Fähigkeit, dies nicht persönlich zu nehmen, vor allem, wenn man die Sache anders sieht."
Die Deutschen könnten also von anderen Kulturen lernen, sich für die Pflege einer vertrauensvollen Beziehung Zeit zu nehmen und diese bei aller Direktheit nicht aus den Augen zu verlieren.
Fazit: In Vertrauen und Reputation investieren und faule Kompromisse vermeiden
Für viele Selbstständige aber auch leitende Angestellte und Mitarbeiter in der Bauwirtschaft sind die Themen der Verhandlungsführung und des Konfliktmanagements durchaus von existentieller Bedeutung. Scheitert man hier, hilft einem auch das beste Fachwissen nicht viel weiter.
Der maßgebliche Faktor im Umfeld von Vertragsverhandlungen ist das gegenseitige Vertrauen. Eine tragfähige Vertrauensbasis trägt wiederum zur eigenen Reputation sowie der des Gegenübers bei bzw. wird durch diese gestärkt oder geschwächt.
Kommt es doch zum Konflikt, ist zunächst Abstand geboten. Mithilfe eines Mediators oder Schlichters können nach sachlicher Betrachtung der Projektsituation immer noch Win-Win-Lösungen herbeigeführt werden, die nicht auf faulen Gleichbehandlungskompromissen beruhen.