Verschwindend geringer Anteil an schädlichen Umwelteinflüssen durch Sanierung mit RELAST® im Vergleich zum Ersatzneubau
(bezahlter Inhalt)
Herr Strobl, welche Bedeutung misst man dem Thema Nachhaltigkeit bei Würth zu?
Das Ziel ist es unser Unternehmen auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen, um nachfolgenden Generationen ein gutes Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen. Als Familienunternehmen denken wir bei jeder Entscheidung an das Heute und das Morgen, daher ist das Thema Nachhaltigkeit fest in unserer Geschäftsstrategie und in unserer Unternehmensstruktur verankert, vgl. [1].
Was passiert konkret im Unternehmen?
Bei der Dekarbonisierung z.B., haben wir es uns als Ziel gesetzt bis 2024 Klimaneutralität in Scope 1 und 2 (nach Greenhouse Gas Protocol [1]) zu realisieren. Wir leisten einen großen Beitrag zum Klimaschutz, indem wir anfallende Treibhausgasemissionen vermeiden. Wo diese nicht vermeidbar sind, reduzieren wir sie auf ein Minimum. Nicht vermeidbare oder nicht weiter reduzierbare Treibhausgasemissionen werden durch Investitionen in Klimaschutzprojekte zu 100% kompensiert. Ein weiterer wichtiger Baustein sind unsere Produkte und deren Beschaffenheit. Durch den Aufbau von Prozessen und Strukturen für zirkulierende Wertschöpfungsströme leisten wir einen signifikanten Beitrag zu Scope 3, da wir die Dekarbonisierung auch in der Lieferkette vorantreiben. Darüber hinaus ist es unser Ziel bis 2030 weitestgehend zu einer zirkulären Wirtschaftsweise überzugehen.
Wie reagiert Ihr Unternehmen mit seinem Produktportfolio darauf?
Einer unserer größten Hebel hin zu einer nachhaltigen und zirkulären Wirtschaft ist unser Sortiment mit ca. 125.000 Produkten. Um der Verschwendung von Ressourcen effektiv entgegenzuwirken und den Weg hin zu einer zirkulären Wirtschaftsweise zu beschreiben, legt Würth aktuell einen starken Fokus auf die nachhaltige Transformation des Produktportfolios hin zu kreislauffähigen Produkten.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Wir überprüfen und optimieren sukzessive unsere Produkte. Wichtige Kriterien hinsichtlich einer zirkulären Wirtschaftsweise sind für uns Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit oder Wiederverwendbarkeit. Würth orientiert sich dabei an globalen Produktstandards. Einige Kernprodukte unseres Sortiments erfüllen die oben angesprochenen Punkte bereits, z.B. sind das VARIFIX® Schnellmontagesystem und das ORSY® System-Regal nach Cradle to Tradle Certified® zertifiziert. Die Bewertung der Zertifizierung erfolgt anhand von fünf Kategorien: Materialgesundheit der eingesetzten Inhaltstoffe, Kreislauffähigkeit des Produktes im technischen oder biologischen Kreislauf, Nutzung von erneuerbaren Energien, verantwortungsvolles Wassermanagement und Einhaltung sozialer Standards [1].
Sie sind im Speziellen zuständig für das Produkt RELAST®. Wozu wurde RELAST® entwickelt und wodurch leistet RELAST® einen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit?
Die Altersstruktur der Bestandsbauwerke stellt uns vor die große Herausforderung der Verstärkung und Instandsetzung hierfür wurde RELAST® entwickelt. Das Thema kann in seiner Bedeutung für das Bauwesen ja kaum überschätzt werden. Nehmen wir den Zustand der Brücken im Land z. B. da ergeben sich aufgrund von Laststeigerungen, Umplanungen oder Erweiterungen erhebliche Defizite z.B. im Bereich der Querkrafttragfähigkeit, weshalb sie nachträglich verstärkt werden müssen.
Hinzukommen dürften zuweilen auch ungenügende Instandhaltungsmaßnahmen, oder?
Ganz klar, und die können die Tragfähigkeit zusätzlich negativ beeinflussen. Nun sind aber Ersatzneubauten neben immensen Kosten und teils weitreichenden Nutzungseinschränkungen mit negativen umwelttechnischen Auswirkungen verbunden. Und da ist es erstrebenswert, nachträgliche Verstärkungsmaßnahmen mehr und mehr zur Anwendung zu bringen.
So weit, so klar. Wie kommt da RELAST® ins Spiel?
Herkömmliche Verstärkungsmaßnahmen sind häufig mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbunden. So muss das Bauwerk etwa in der Regel von der Unter- und Oberseite aus zugänglich sein. Das führt natürlich zu massiven Nutzungseinschränkungen, wie z. B. Fahrbahnverengungen, Sperrungen oder Umleitungen während der Ausführungszeit der Verstärkungsmaßnahme. Mit RELAST® haben wir ein technisch innovatives, ressourcenschonendes und wirtschaftliches Produkt im Portfolio, das es ermöglicht, Bauwerke nachträglich mit Hilfe von eingeklebten Betonschrauben zu verstärken – und das unter laufenden Betrieb.
Das klingt recht einfach …
(lacht) Ist es auch … Die Schrauben können entweder von oben oder von unten im zu verstärkenden Bauwerk installiert werden. Das Bauwerk muss also – ganz wichtig! – nur von einer Seite aus zugänglich sein. Dadurch lassen sich die RELAST® Verbundankerschrauben z. B. von unterhalb der Brücke bei laufendem Verkehr auf der Brücke einbauen, wovon der Verkehrsteilnehmer überhaupt nichts mitbekommt. Zu Sperrungen, Staus und Umleitungen kommen ja noch weitreichende volkswirtschaftliche Schäden hinzu, vom negativen Einfluss auf die Umwelt ganz zu schweigen … Wie eine Studie [2] zeigt, kann dies größtenteils vermieden werden, indem das Bauwerk mit RELAST® ertüchtigt wird. Diese Studie macht klar, dass bereits ein Tag Sperrung (grüner Balken) einen ungefähr doppelt so großen umwelttechnischen Einfluss hat wie die komplette Ertüchtigung mit RELAST® (blauer Balken) (Bild 1).
Wenn man also die gesamte Bauzeit für einen Neubau betrachtet …
(lächelt) Sie können Gedanken lesen … In diesem Fall waren es 1,5 Jahre und da erkennt man dann unübersehbar den verschwindend geringen Anteil des umwelttechnischen Einflusses der Ertüchtigungsmaßnahme (blauer Balken) im Vergleich zum Ersatzneubau inkl. Sperrung (grüner und roter Balken summiert) (Bild 2). Die Verstärkungsmaßnahme mit RELAST® konnte bei diesem Projekt in wenigen Wochen durchgeführt werden. Und so konnte ein Großteil der negativen Auswirkungen auf die Umwelt vermieden werden – ein weiteres wichtiges Argument, das für die Ertüchtigung von Bestandsbauwerken mit RELAST® spricht.
Ein neues, innovatives System – bedeutet das für den Planer auch neu zu erwerbende Kenntnisse?
Ganz im Gegenteil. Die Bemessung erfolgt nach den beiden allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen des DIBt. Um es dem verantwortlichen Tragwerksplaner möglichst einfach zu machen, lehnen sich diese sehr stark an die DIN EN 1992-1-1 an. Die Bemessung der Querkraftverstärkung mit RELAST® z.B. basiert auf den bekannten Gleichungen des Fachwerkmodells, wobei die Neigung der Druckstrebe fest zu θ = 45° und der Winkel der Zugstrebe zu α = 90° gesetzt wird (Bild 3).
Lediglich bei der Berechnung der effektiven Fließspannung wird eine neue Formel eingeführt.
Die beiden Parameter c1 und c2 wurden durch statistische Auswertungen der Versuchsergebnisse abgeleitet. Sie berücksichtigen den Schraubendurchmesser sowie die Setztiefe der Schraube, wobei unterschieden wird, ob die Schraubenspitze auf der Höhe der Oberkante der Längsbewehrung oder darunter liegt (Tabelle 1). Dadurch lässt sich der komplette Nachweis mit einem Großteil bekannter Formeln und einer neuen, aber sehr einfachen Formeln führen.
Zwischenfrage: Bedeutet das, dass Berechnungen immer per Hand durchgeführt werden müssen?
Nein, innerhalb der Würth Technical Software II wurde ein Modul zur Bemessung der RELAST® Verbundankerschraube integriert, das sehr einfach und intuitiv aufgebaut ist. Nach der Definition des zu verstärkenden Bauteils und der Eingabe der Randbedingungen – wie etwa der Betonklasse, Abmessungen und Belastungen – führt das Programm automatisch die Bemessung durch und schlägt die wirtschaftlichste Anordnung der Schrauben vor.
Und wenn der Nutzer den Durchmesser der Verbundankerschrauben, oder andere Parameter, wie z. B. den Einbauzustand ändern will?
Das ist der Charme des Programms, dass das mit Links geht. Der Nutzer erhält dann ein sofortiges Feedback zur überarbeiteten Anordnung der Schrauben. Weiterhin kann ein detaillierter Ausdruck erstellt werden, mit dem jeder einzelne Schritt der Bemessung nachvollzogen werden kann. (Link zur Software: https://wtsonline.wuerth.com/relast)
Welche Vorteile ergeben sich für den Bauherrn, den Tragwerksplaner und den Verarbeiter durch RELAST®?
Für den Bauherren liegt der Vorteil darin, dass RELAST® eine DIBt-Zulassung zur nachträglichen Querkraft- oder Durchstanzverstärkung hat. Es kann also schneller und kosteneffektiver geplant werden. Da durch die Sanierung mit RELAST enorme Kosten im Vergleich zum Abriss und Ersatzneubau eingespart werden, können mit dem gleichen finanziellen Budget mehr Bauwerke auf das Lastniveau der aktuellen Normung gebracht werden. Die Verstärkungsarbeiten können unter laufendem Betrieb ausgeführt werden.
Die notorische Umleitung und vor allem deren Planung entfällt also?
Ganz genau. Weiterhin ließ sich z. B. bei einem Projekt mit insgesamt 1.224 RELAST® Verbundankerschrauben eine Bauzeitenverkürzung von mehreren Wochen erzielen – noch ein großer Vorteil für den Bauherren. Der Tragwerksplaner profitiert, wie der Bauherr, von den Zulassungen des DIBt und von der einfachen und problemlosen Bemessung nach den gängigen Normen. Weiterer Vorteil: Das System ist für statische, quasi-statische und ermüdungsrelevante Lasten zugelassen. Und natürlich stehen wir jederzeit beratend und begleitend zur Seite. Letzteres ist auch ein wichtiger Punkt für das ausführende Unternehmen. Durch Montagevorgespräche und Einweisungen unterstützen wir vorab und auf der Baustelle, um einen reibungslosen Ablauf der gesamten Verstärkungsarbeiten mit sicherzustellen. Außerdem profitiert das ausführende Unternehmen von der schnellen und einfachen Montage des Systems und davon, dass die Montage bei Brücken von unterhalb des Bauwerks erfolgen kann und die Schrauben ohne störende Einflüsse gesetzt werden können.
RELAST® stellt eine komplette Eigenentwicklung von WÜRTH dar. Warum ist das für Würth so wichtig?
RELAST® ist für uns ein weiterer Baustein, um unsere Hersteller- und Entwicklungskompetenz für professionelle Befestigungstechnik zu untermauern. RELAST® ist kein System, dass wir von der Stange einkaufen. Dahinter stecken über acht Jahre, die unsere Tochterfirma TOGE Dübel GmbH & Co. KG gemeinsam mit Professor Jürgen Feix von der Universität Innsbruck in die Forschung und Entwicklung dieses Systems investiert haben. Dabei findet die Herstellung der Verbundankerschrauben bei TOGE statt, während Prof. Feix die Versuchsreihen übernimmt. Den Vertrieb übernimmt die Adolf Würth GmbH & Co. KG.
Wird diese Entwicklung weitergehen und wie stellt das Unternehmen sicher, dass an diesen wichtigen Themen weiterhin entwickelt und geforscht wird?
Hier möchte ich mit Thomas Klenk (Mitglied der Geschäftsleitung und verantwortlich für Einkauf, Produktmanagement, Forschung & Entwicklung und Marketing) auf den Bau des neuen Reinhold Würth Innovationszentrums CURIO zu sprechen kommen, das Ende September 2022 eröffnet wurde. Wie Herr Klenk anlässlich der Eröffnung sagte, ist mit dem CURIO der Grundstein u. a. genau für die weitere Entwicklungsarbeit gelegt worden. Hier vernetzen wir Kundenanwendung, akademische Forschung und eigenes Produktions-Knowhow aus der Würth-Gruppe miteinander. Rund 250 Mitarbeitende aus der Produktentwicklung der Adolf Würth KG und den Produktionsgesellschaften des Konzerns treffen über Hochschulkooperationen mit dem Karlsruher Institut für Technologie KIT und der Universität Stuttgart auf externe Wissenschaftler. Über dieses Netzwerk stärken wir die eigene Herstellerkompetenz und erzielen durch die engen Beziehungen zu unseren Kunden Begeisterung mit vorausschauenden und maßgeschneiderten Lösungen.
Quellen:
[1] Würth Nachhaltigkeitsbericht 2020/2021
https://media.witglobal.net/source/eshop/stmedia/wuerth/documents/documents/LANG_de/419310393.pdf
[2] Gschösser, Florian und Feix, Jürgen. „Retrofitting measures vs. replacement – LCA study for a railway bridge, Sustainable Built Environment (SBE) Regional Conference, Zürich, 2016
[3] Feix, Jürgen und Johannes Lechner. „Betonschrauben zur nachträglichen Bauwerksverstärkung“ www.wuerth.com/relast