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Warum Juristen und Bauleute nicht miteinander können, es aber müssen

Verfasst von: Prof. Dr. jur. Günther Schalk, FA für Bau- und Architektenrecht
Veröffentlicht am: 19. Jan. 2024

Bau und Recht: Wenn zwei Welten aufeinander prallen

Es ist kein Staatsgeheimnis, dass der Jurist vom Baumensch manchmal wie ein Besuch beim Zahnarzt empfunden wird: Man mag ihn nicht, ist froh, wenn er nicht sein muss oder wieder vorbei ist – aber ganz ohne geht es im Leben halt auch nicht.

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Das Verhältnis zwischen Bauwesen und Rechtswesen ist häufig durch
Spannungen geprägt. Quelle: Dietmar Gerhard Exner / Pixelio

Berührungspunkte lassen sich beim besten Willen für die Bauwirtschaft nicht vermeiden: Juristen kommen unvermittelt und unbestellt ums Eck, wenn sie irgendwelche Bescheide erlassen, Regeln aufstellen, Auflagen in Baugenehmigungen oder Planfeststellungsverfahren von sich geben oder Urteile sprechen.

Häufiger aber kommen Juristen auf die Baustelle, weil die Bauleute sie selbst anfordern, weil irgendetwas schiefgegangen ist oder schiefzugehen droht, weil die Baufirma behindert ist oder mehr Geld haben möchte. Und trotzdem knirscht es immer wieder zwischen den Baumenschen und den Rechtsgelehrten.

Warum ist das so? Warum besteht vielfach eine Kluft zwischen Bauleuten und Juristen? Prallen da wirklich zwei Welten aufeinander? Es folgt eine schonungslose Analyse.

Recht und Juristen sind keine Dämonen

Woher nimmt sich der Autor das Recht, darüber zu urteilen, wie und warum Juristen und Baumenschen miteinander können oder nicht? Erfahrung ist, sagt der Volksmund, angeblich der beste Koch. Ich bin seit inzwischen fast 23 Jahren Baurechtler und, seit diese Fachanwaltschaft 2005 eingeführt wurde, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht.

Seitdem bin ich bundesweit für Baufirmen und Auftraggeber tätig und dabei sowohl in der täglichen Anwaltsarbeit als auch als Trainer für alle Bau- und Vergabethemen bei der Schulung von Bauleitern, Projektleitern, Polieren, Kaufleuten, Unternehmern und Auftraggebern im Einsatz. Als Dozent an der TU Hamburg und der TH Deggendorf versuche ich, künftige Bauingenieure rechtlich „vorzuimpfen“. Insoweit kenne ich sowohl die eine als auch die andere Disziplin sehr intensiv.

Die vielen Berührungspunkte sowohl mit juristischen Kolleginnen und Kollegen als auch mit Ingenieuren und Technikern helfen nicht nur, die Bedürfnisse und Gefühle beider Seiten besser zu verstehen. In der Summe habe ich vermutlich schon viele Monate meines Lebens in Baucontainern, Baugruben und Baufirmen verbracht (ja, ich fahre als Jurist tatsächlich auf Baustellen und nein, ich denke nicht, dass man jedes Baurechtsproblem nur vom Schreibtisch aus lösen kann).

Und ich gebe es offen zu: Ich mache Baurecht mit Leib und Seele und freue mich jedes Mal, wenn ich eine Baustelle „von innen“ sehe oder Bauleiter schulen darf und ihnen ein Stück weit zu vermitteln versuchen kann, dass Recht und Juristen keine Dämonen sind, sondern (in der Regel) nur helfen wollen.

Das hilft aber auch, einen kritischen Blick auf den eigenen Berufsstand zu entwickeln. Und dabei muss man durchaus feststellen, dass auch Juristen tatsächlich einzelne, wenn auch nahezu unbedeutende Marotten haben.

Bauanwalt: Der Feind in meinem Bett?

Selbst wenn der Jurist auf der Baustelle der eigene Anwalt ist, klagen doch viele Kolleginnen und Kollegen darüber, dass der Draht zum eigenen Mandanten auf der Baustelle manchmal eher ein Schwachstromdrähtchen als ein Starkstromkabel ist. Bisweilen passt der Filmtitel „Der Feind in meinem Bett“ durchaus auf das Verhältnis von Baustelle und Anwalt. Nicht immer können der „Baumensch“ und der Jurist, der als Anwalt ja eigentlich seine Interessen vertritt, wirklich gut miteinander. Nachdem aber beide idealerweise an einem Strang ziehen sollten (und das auch noch in die gleiche Richtung) stellt sich umso mehr die Frage: Woran liegt’s?

Hier erscheint zunächst einmal ein entscheidender Punkt zu sein, wie sich die Protagonisten gegenseitig wahrnehmen. Wie sieht der Baumensch den Juristen und wie sieht der Jurist den Baumenschen? Hierbei ist natürlich keine generalisierende Antwort möglich, weil das nicht nur vom jeweiligen Berufsstand verallgemeinernd abhängt, sondern natürlich von vielen Aspekten. Schließlich gibt ja weder „den Juristen“ noch „den Baumenschen“. Oder um es aus Sicht der Baustelle zu sagen: Es gibt auch „normale“ und nette Juristen.

Ein Problem auf einer Baustelle kann man nach meiner Überzeugung nur lösen, wenn man Baustellenluft geschnuppert hat, gesehen hat, was genau dort schiefgegangen ist oder auch nicht. Baurecht geht nicht ohne Gummistiefel und Helm.

Wobei sich an der Stelle schon mal die Spreu vom Weizen trennt: Es gibt Bau(fach)anwälte, die der Überzeugung sind, dass Probleme einer Baustelle problemlos auch vom Kanzleischreibtisch aus zu managen und rechtlich abzuarbeiten sind. Und wenn es schon eine persönliche Begegnung sein muss, dann können die zuständigen Vertreter der Baufirma gefälligst auch in die Kanzlei kommen. Das ist freilich eine philosophische Frage und Einstellungssache.

Juristen mögen vielfach keinen Dreck und keinen Baucontainermief. Solchen Kolleginnen und Kollegen empfehle ich persönlich, dann aber doch lieber Familienrecht oder Steuerrecht zu machen. Das geht auch mit Lackschuhen vor dem Notebook. Ein Problem auf einer Baustelle kann man nach meiner Überzeugung nur lösen, wenn man Baustellenluft geschnuppert hat, gesehen hat, was genau dort schiefgegangen ist oder auch nicht. Baurecht geht nicht ohne Gummistiefel und Helm.

Ein Jurist muss kritisch nachfragen

Baumenschen sind (vermeintlich) variantenreicher als „der Jurist“: Da gibt es den Bauingenieur, der als Projektleiter, Oberbauleiter oder Bauleiter agiert, aber ebenso den Facharbeiter, den Bauhelfer und natürlich auch noch die Baukaufleute, also ein wesentlich breiteres Feld. Tatsächlich nehme ich bisweilen die Tendenz wahr, dass manche Juristen lieber und besser mit den höherrangigen Baumenschen können als mit Baumenschen, die „nur“ einen Bagger oder eine Schaufel bedienen.

Die Leitungsebene auf der Baustelle hat freilich naturgemäß auch eher die tragende Rolle, wenn es um die rechtliche Aufarbeitung von Problemen geht. Aber wer noch nie mit „der Baustelle“ geratscht und bis zum Bauhelfer Inventur gemacht hat, welche Menschen auf der Problembaustelle bauen (und da gehören alle vom Projektleiter bis zum Bauhelfer dazu), der hat den nötigen Geist dieser Baustelle nicht erfasst.

Freilich wird auch das Bild auf einer Baustelle zunehmend anders: Das klassische Gefüge von Baumenschen, also Bauarbeiter, Vorarbeiter, Polier, Bauleiter und vielleicht noch ein Oberbauleiter, verschiebt sich gerade bei größeren Baufirmen immer mehr zur „Manageritis“. Da gibt es den Human Resources Manager, den Logistic Manager, den Internal Supervisor, den Product Development Manager usw. und immer mehr Möglichkeiten, dass der jeweils Andere „schuld“ an einem entstandenen Dilemma ist.

So oder so ist für die Baumenschen eine Erkenntnis wichtig: Kommt ein Jurist auf die Baustelle, wird er vielfach eher als der Gegner eingeordnet denn als Verbündeter, der versucht, mit rechtlicher Assistenz den Verlauf, die weitere Entwicklung oder das Ergebnis der Baustelle zu retten. Freilich wird der Jurist – idealerweise aber nur intern – kritisch nachfragen, was schiefgegangen ist, gegebenenfalls nachbohren, wenn die Informationen zu spärlich fließen.

Das tut der Jurist aber nicht, weil er den Baumenschen auf der Baustelle ans Bein pinkeln, sie der Fehler bezichtigen oder bloßstellen möchte. Es ist vielmehr seine Aufgabe, kritisch nachzufragen, damit er zumindest für sich ein möglichst umfassendes Bild von der Baustelle und den Abläufen bekommen und abschätzen kann, was im Laufe des weiteren Verfahrens möglicherweise noch alles „aufploppen“ und wie man das in den Griff bekommen kann.

Es ist weder für den Juristen noch für eine Baufirma ein schönes Erlebnis, irgendwann erst im Verlauf einer Gerichtsverhandlung scheibchenweise zu erfahren, was tatsächlich passiert ist. In diesem Augenblick, wenn beispielsweise ein Zeuge bei seiner Vernehmung plötzlich völlig neue Aspekte zu Lasten des eigenen Mandanten auftischt, wird es schwierig. Dann erst zu reagieren und zu versuchen, bereits vorgetragenen Sachverhalt nachträglich noch so zu verbiegen, dass diese Scharte wieder ausgemerzt ist, ist vielfach sehr schwierig und vielfach schlicht (auch prozessrechtlich) nicht mehr möglich.

Der Baurechtler als Exot unter den Juristen

Welcher Typ Jurist ist ein Baurechtler? Er ist unter den Anwälten tatsächlich ein Stück weit ein Sonderling, das muss man einräumen. Zum Hintergrund: Ein Jurist absolviert seine Ausbildung an einer Universität in einer juristischen Fakultät. Der Rechtswissenschaftler verbringt weite Teile seiner Studienzeit damit, Rechtsgutachten zu schreiben, die sehr in die rechtliche Tiefe gehen, sehr theoretisch sind und sehr weit weg sind vom echten Leben „draußen“.

Die universitäre Ausbildung, während derer alle Klausuren daraus bestehen, dass der Prüfling ein theoretisches Rechtsgutachten nach dem anderen zu schreiben hat, schließt mit dem ersten Examen, das zum „Diplom-Juristen“ führt. Erst nach dem Studium, in der Referendarzeit, nähert sich der angehende Volljurist (das ist man erst mit dem erfolgreich abgelegten zweiten Staatsexamen, das die „Befähigung zum Richteramt“ und die Zulassungsmöglichkeit zur Anwaltschaft eröffnet) ein Stück weit dem echten Leben.

Er muss nun auf einmal Anklageschriften, Urteile, Klagen und Verfügungen ausarbeiten, bei denen der Schwerpunkt nun nicht nur auf dem reinen Paragrafenwissen liegt, sondern wo nun Lebenssachverhalte rechtlich zu bewerten sind.

Und schon an dieser Stelle in der Juristenausbildung trennen sich ein Stück weit die Lager: Es gibt eine Gruppe, die drei Kreuzzeichen macht, weil sie endlich die Dauergutachterei hinter sich lassen kann, und eine Gruppe, die etwas verwirrt und unsicher in diese Phase aufbricht, weil sie eigentlich gar kein echtes Bedürfnis hat, sich mit echten Menschen und ihren echten Problemen so hautnah zu befassen.

Baurecht als Stiefkind in der Juristenausbildung

Warum gibt es vergleichsweise wenige Anwälte, die sich mit Baurecht und den umliegenden Rechtsgebieten (u.a. Vergaberecht, Architekten- und Ingenieurrecht, Umweltrecht, Abfallrecht) beschäftigen? Die Ursache liegt zunächst in der Struktur der Ausbildung der Juristen.

Wer Rechtswissenschaften studiert, lernt idealerweise irgendwann am Ende dieses Schlauchs mit allen Rechtsgebieten umgehen zu können, weil sie oder er verstanden hat, wie die Systematik des Rechts angelegt ist und wie Gesetze funktionieren. Er lernt aber auch Inhalte und konkrete Themen aus unzähligen Rechtsgebieten (Zivilrecht, Strafrecht, Erbrecht, Familienrecht, Arbeitsrecht, Verwaltungsrecht, Handelsrecht etc.). Nur ein Rechtsgebiet fehlt zuverlässig und nachhaltig: Baurecht.

Gut, das stimmt so tatsächlich nicht: Öffentliches Baurecht kommt in der juristischen Ausbildung schon vor. Das umfasst etwa das Baugesetzbuch oder die Bauordnungen, also die Frage, was und wie gebaut werden darf. Der Jurastudent lernt also, wie ein Flächennutzungsplan funktioniert, wie daraus ein Bauleitplan entstehen kann, wie das ist mit Nachbarunterschriften und Abstandsflächen. Wie allerdings ein Bauvertrag funktioniert, lernt er nicht.

Er hat, wenn er nicht einen abstrusen Rechtsprofessor erwischt, der sich mit einem entarteten Seminarthema zum Bauvertragsrecht aus der Deckung wagt, bis einschließlich seinem zweiten Examen kein einziges Mal auch nur gehört, dass es eine VOB oder eine HOAI gibt, geschweige denn, was da drinsteht und wie wichtig sie fürs Bauen sind.

Der Jurist mag keine Technik...

Wer also nach der bereits abgeschlossenen juristischen Ausbildung als Anwalt (oder auch als Richter) Baurecht bearbeiten will, muss sich dessen bewusst sein, dass er weitgehend noch einmal bei Null anfangen und Baurecht außerhalb des geschützten Bereichs einer Uni autodidaktisch lernen muss. Diesen Stress tun sich nicht viele Juristen an. Und die Bauleute müssen daraus auch herleiten: Wer als Jurist Baurecht macht, ist ein Exot.

Ein Jurist studiert Jura, weil er nichts mit Technik und Zahlen zu tun haben will. Iudex non calculat, sagt der Lateiner.

Dazu kommt ein weiterer Problemkomplex, der sowohl in die eine als auch in die andere Richtung zu vielfach beinahe unüberbrückbaren Schwierigkeiten führt: Ein Jurist studiert Jura, weil er nichts mit Technik und nichts mit Zahlen zu tun haben will („iudex non calculat“, sagt der Lateiner – oder auf gut Deutsch: Ein Jurist kann nicht mit Zahlen…).

Was passiert nun, wenn der (Bau-)Jurist auf der Baustelle aufschlägt und plötzlich verstehen können soll, wie eine Dichtwand funktioniert, warum es nicht gut ausgeht, wenn die Baufirma bei Minusgraden verputzt, was Dehnfugen sind, wie Abdichtungsebenen funktionieren oder was ein Homogenbereich ist? Für den Juristen ist die Welt der Technik erst einmal artfremd und unbekannt und für den einen oder anderen zunächst ein Kulturschock.

...und der Baumensch mag keine Paragrafen

Diese Berührungsängste und die Fremdartigkeit der Materie bestehen aber auch genauso in Gegenrichtung: Wer Bauingenieurwesen studiert oder in eine Technikerschule geht, um sich für den Bau fit machen zu lassen, tut das ja nicht, damit er sich hinterher dann ausufernd mit Paragrafen und juristischen Zusammenhängen beschäftigt, sondern weil er bauen will. Das will er möglichst in gerader Richtung und mit striktem Blick darauf, dass das Bauwerk, das er errichtet, zeitgerecht, im vorgesehenen Budget und möglichst mangelfrei fertig wird.

Auf dem Weg dorthin stehen rechtliche Fragen, Streitigkeiten über Nachträge, juristische Aspekte von Behinderungen und Diskussionen über Paragrafen lästig im Weg. Für Bauleute sind das oftmals rote Tücher. Die Einstellung und die Herangehensweise von Juristen an Probleme am Bau, die man doch eigentlich möglichst schnell und unkompliziert wegkriegen müsste, befremdet Baumenschen vielfach.

Juristen denken (vermeintlich) unheimlich kompliziert, vielfach ungelenkig, sehen hinter jedem Busch einen Räuber, wollen ständig alles schriftlich niedergelegt haben und halten nur unnötig den Betrieb auf mit ihrem Paragrafenzirkus.

VOB/C als vermittelndes Element?

Ein „Zwischending“, das ein Stück weit für beide Disziplinen ungelenk ist und mit dem sich sowohl die Bauleute als auch die Juristen nicht hundertprozentig wohlfühlen – also eine weitere kleine Schnittmenge – sind die (vermeintlich nur technischen) Normen.

Ein Klassiker, anhand dem sich diese „Hassliebe“ im Dreiecksverhältnis Baumensch-Norm-Jurist sehr gut illustrieren lässt, ist die VOB/C. Nimmt man das „offizielle“, momentan immer noch weinrot eingebundene VOB-Buch mit allen drei Teilen der Vergabe- und Vertragsordnung, stellt man fest, dass man sich am Bau zwar täglich mit lächerlichen 18 Paragrafen der VOB Teil B beschäftigt, während der deutlich umfangreichere Teil C der VOB vielfach ein großes Schattendasein führt.

Vielleicht ist der Untertitel der Grund dafür: „ATV“ – „Allgemeine Technische Vertragsbedingungen“, also für den Juristen ebenso bereits im Titel ein Grund, sich nicht damit beschäftigen zu müssen (weil: „Technische…“ – also nichts Juristisches) und für den Baumenschen ebenso ein Grund, sich nicht damit beschäftigen zu müssen (weil: „Vertragsbedingungen“ – also nichts Technisches).

In der VOB/C treffen Technik und Recht zentral aufeinander und selbst das hilft vielfach wenig: In der Praxis schauen viele Juristen nicht in die VOB/C, weil dort „ja eh nur Technik“ steht, und Bauleute nicht, weil dort „eh nur Vertragskram steht“.

Unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Herangehensweise

Ein Kernaspekt der Diagnose, warum Bauleute mit Juristen und Rechtsgelehrte mit Baumenschen bisweilen nicht können, sind die unterschiedlichen Ziele und die unterschiedlichen Herangehensweisen auf dem Weg zum Ziel. Das Ziel ist bereits jeweils ein anderes:

Für den Baumenschen ist, wie beschrieben, entscheidend, dass er das geschuldete Bauwerk, das er in Form von Plänen und einer Leistungsbeschreibung vor sich liegen hat, möglichst in der vorgegebenen Bauzeit erfolgreich herstellt und so mangelfrei wie möglich dem Bauherrn übergibt. Oder wie es der Jurist beschreiben würde: Der Werkerfolg muss erreicht werden, die vertraglich geschuldete Leistung. Also ein gerader Weg, möglichst ohne Schnörkel und Umwege.

Beim Juristen ist das Ziel bereits anders gelagert: Er weiß oft bei seiner Arbeit noch gar nicht, welches Ziel am Ende stehen soll und wird. Der „Erfolg“ ist beim Juristen deutlich weniger klar definiert. Kein konkretes Haus, keine bestimmte Putzstärke, kein Bohrpfahl mit einer vorgegebenen Traglast. Der Jurist in Form des Anwalts hat das Ziel, von seinem Mandanten möglichst viel Schaden abzuhalten, ihm möglichst viele Steine aus dem Weg zu räumen, damit er seinen Werkerfolg erreichen kann und ihm zu helfen, ein möglichst gutes Baustellenergebnis zu erzielen.

Beim Juristen kann der Weg nicht gerade verlaufen. Vielmehr ist ein Blick in jede mögliche Abzweigung erforderlich, um herauszufinden, ob das eine Sackgasse wird oder sich zur Autobahn aufweitet.

Dieses „möglichst“ – und da fallen die beiden Welten schon wieder auseinander – ist manchmal sehr groß und manchmal sehr klein. Kommt ein Bauanwalt auf die Baustelle, ist das keine Garantie dafür, dass die Baufirma ab sofort nonstop und uneingeschränkt im Recht ist. Der Jurist kann nicht zaubern, er kann nur versuchen, das Beste aus der möglicherweise schon hoffnungslos verfahrenen Situation zu machen für die Firma.

Hoffnungslos verfahren ist die Situation vielfach auch deshalb, weil viele Bauunternehmen die Juristen (selbst die eigenen) scheuen wie der Teufel das Weihwasser, was zur Folge hat, dass man die Juristen erst so spät wie möglich einbindet. Und „so spät wie möglich“ ist nicht selten bereits so spät, dass dann oft das Kind rechtlich schon in den Brunnen gefallen ist, die Baufirma sich möglicherweise selbst schon rechtlich um Kopf und Kragen geschrieben hat und der Jurist dann hexen können müsste, um noch die Bauwelt retten zu können.

Entsprechend unterschiedlich ist der Weg der Juristen zum Ziel: Zaubern können Juristen regelmäßig auch nicht, sonst würden sie mit dieser Fähigkeit vermutlich von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen oder sich gen Las Vegas aufmachen, um dort damit viel Geld zu verdienen. Bei Juristen ist es manchmal wie bei Ärzten: Hat sich ein Patient schon mit der Kreissäge einen Finger abgesägt, sind die Chancen, diesen Finger wieder voll funktionsfähig anoperieren zu können, deutlich geringer als wenn nur eine kleine Schnittwunde vorliegt.

Und auch in anderer Weise sind Juristen und Ärzte vergleichbar: Es gibt Ärzte, die fundierte Diagnosen auch seltener Krankheiten stellen können und es gibt welche, die kaum einen grippalen Infekt von einem Hinterwandinfarkt unterscheiden können. Beim Juristen ist das also ein Weg, der nicht gerade verlaufen kann, sondern einen Blick in jede mögliche Abzweigung erfordert, ob das eine Sackgasse wird oder sich zur Autobahn aufweitet.

Warum tut der Jurist das, was er tut?

Warum ist ein Jurist so, wie er ist? Und warum wirft er (vermeintlich) den eigenen Bauleuten, denen er ja eigentlich helfen und deren Arbeit er eigentlich erleichtern soll, ständig Balken zwischen die Beine? Ein gutes Beispiel dafür sind Nachträge. Ein Paradebeispiel hierfür sind Behinderungen und gestörte Bauabläufe.

Statt einfach zu helfen, kommt der Bauanwalt und macht schon wieder alles nur noch komplizierter, stört einfach nur. Er redet ständig von Dokumentation (die ist lästig und macht viel Arbeit) und möchte, dass möglichst alles schriftlich mit dem Auftraggeber ausgetauscht wird (ist ebenfalls lästig und macht viel Arbeit) statt nur telefonisch oder per Handschlag (wäre viel einfacher). Und er redet ständig von „Gericht“, obwohl da ja keine Baufirma überhaupt jemals hin will.

Warum tut der Bauanwalt das? Nicht, weil er die eigenen Bauleute schikanieren will. Und vor Gericht will er mit einer Bausache auch nur, wenn es gar nicht anders geht. Manchmal geht es aber eben nicht anders. Dieses Bewusstsein zu erlangen und davon überzeugt zu sein, ist ein wesentlicher Baustein für Ingenieure und Techniker, die Juristen und deren Herangehensweisen besser verstehen zu lernen.

Der Bauanwalt weiß idealerweise, dass die Rechtsprechung bei gestörten Bauabläufen wahnsinnig hohe Hürden an die Baufirmen stellt, damit sie überhaupt eine Chance haben, einen Fuß auf den Boden zu bekommen, wenn sie in der Ausführung behindert sind. Eine „konkrete bauablaufbezogene Darstellung jeder einzelnen Störung“ fordern die Obergerichte da etwa.

Der Jurist weiß auch, dass realistisch eine solche Darstellung einige Monate nach der konkreten Störung auf der Baustelle nie und nimmer mehr in erforderlicher Dichte herzustellen ist, wenn die Baustelle nicht während der laufenden Störung bereits intensivst dokumentiert wird, Fotos gemacht werden, Aufzeichnungen über die genauen Störungsanteile und Auswirkungen geführt und Zeugen notiert werden.

Der Jurist weiß auch, dass es nicht immer die Baufirma ist, die selbst entscheidet, ob sie irgendwann vor Gericht gehen will. Manchmal wird die Baufirma auch vor Gericht gezerrt vom Auftraggeber, weil der wegen der entstandenen Verzögerungen Schadensersatzansprüche geltend macht und sich die Baufirma dann fundiert wehren muss. Und manchmal ist die Baufirma schlicht gezwungen, selbst vor Gericht zu ziehen, wenn der Auftraggeber allzu unbeweglich jegliche Mehrvergütungsforderungen und Stillstandskosten zurückweist.

Der Jurist weiß auch, dass in diesem Fall dann Themen wie „Beweislast“ und „Beweisführung“ über das Wohl und Wehe eines Prozesses entscheiden können. Die entscheidenden Grundlagen dafür müssen bereits in der Situation gelegt werden, in der die Baufirma vor Ort noch mit den Behinderungen auf der Baustelle kämpft.

Der Jurist weiß ferner, dass sich eine bestimmte Absprache oder Vereinbarung nun einmal deutlich sicherer belegen lässt, wenn er im Prozess ein Schriftstück vorlegen kann, als wenn er darauf angewiesen ist, dass sich der Zeuge X oder die Zeugin Y vielleicht noch an ein Gespräch irgendwo auf der Baustelle erinnern können – oder auch nicht. Wenn der Bauanwalt in einer solchen Situation also nervt und fordert, tut er das nicht, weil er sich selbst zu wichtig nähme, sondern weil er die Baufirma davor bewahren will, hinterher mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen zu müssen.

Ehrlicherweise muss man durchaus einräumen: Es gibt unter Juristen und Anwälten schon auch unterschiedliche Einstellungen zum Thema Effektivität. Während eine Gattung von Rechtsgelehrten den Schwerpunkt erkennbar darauf richtet, Lebenssachverhalte so detailverliebt wie gerade möglich unter juristische Normen zu subsumieren und zu sezieren und mit Leidenschaft auf formellen Hürden herumreitet, soll es doch ein Genre Juristen geben, das bereit ist, Formalia auch mal soweit wie möglich beiseite zu lassen und stattdessen den Fokus doch eher auf eine effektive, praxisgeeignete Lösung zu legen.

Kleider machen Leute – und Juristen…

Neben diesen systematisch unterschiedlichen Ansätzen gibt es natürlich schon auch noch diverse weitere Themen, die eine friedliche Koexistenz von Bauleuten und Juristen bisweilen eher erschweren als erleichtern. Beginnen wir schon einmal bei der Kleidung: Da scheiden sich bei den Bauanwälten durchaus die Geister.

Es gibt freilich Kollegen, die im Kofferraum Gummistiefel und einen Schutzhelm haben, wenn sie auf eine Baustelle fahren. Es gibt aber auch solche, die lieber mit dem feinen Zwirn, Lackschuhen und Manschettenknöpfen im Baucontainer aufkreuzen und sich dann wundern, wenn sie dort niemand ernst nimmt oder mindestens entsprechende Berührungsprobleme und schiefe Blicke der Baumenschen aufschlagen.

Ein wesentlicher Punkt, der Bau und Recht eher trennt als kittet, ist mit Sicherheit die unterschiedliche Sprache der Protagonisten.

Ein weiterer wesentlicher Punkt, der Bau und Recht eher trennt als kittet, ist mit Sicherheit die unterschiedliche Sprache der Protagonisten. Die Art und Weise der Sprache ist ein Stück weit ein Indiz dafür, wie jemand denkt. Darüber hinaus prägt das Umfeld die Sprache. Auf der Baustelle muss es schnell, unkompliziert und direkt zu gehen. Wenn Detailanweisungen nötig sind, wie eine bestimmte Leistung auszuführen ist, dann geht es um einen kurzen und prägnanten Inhalt und nicht um verkünstelte Sprache.

Wie schaut es da bei den Juristen aus? Es gibt nicht umsonst einen eigenständigen Begriff für das, was sie mit der Sprache anstellen: „Juristendeutsch“. Liest man bei Wikipedia nach, steht dort als Definition: „durch komplizierte, pedantisch genaue und oft weitschweife Formulierungen gekennzeichnete, schwer verständliche juristische Ausdrucksweise“. Ohne nun den eigenen Berufsstand an die Wand nageln zu wollen: Diese Definition untertreibt nicht.

Was in manchen Schreiben von Anwälten oder Urteilen zu lesen ist, ist wahrlich schwere Kost für jemanden, der Sprache als Mittel zum Zweck sieht, damit sich Menschen über Themen so austauschen können, dass jeder weiß, was der andere meint.

Zugegeben: Als ausgebildeter Redakteur im Erstberuf stelle ich an das Thema Sprache durchaus hohe Anforderungen. Sprache ist Mittel zum Zweck. Sprache soll Menschen auf möglichst kurzem Weg verbinden. Sprache soll Informationen und Gefühle zielsicher und nicht über Serpentinen in den Hirnwindungen transportieren.

Der Empfänger der Sprache soll idealerweise so unmissverständlich wie möglich aufnehmen können, was der Sprecher damit meint. Als Hörfunkredakteur habe ich gelernt, für das Hören zu schreiben. Das erfordert eine noch griffigere Sprache als bei einem Text, den der Empfänger noch zehnmal nachlesen kann. Das sollte aber auch bei geschriebenen Texten das Ziel sein.

"Juristendeutsch" – das Dilemma mit der Sprache

Es ist tatsächlich nur ein (unzutreffendes) Gerücht, das sich nachhaltig hält: Nein, Juristen belegen im Rahmen ihres Studiums keine speziellen Kurse, wie man die deutsche Sprache möglichst verkompliziert. Nichtsdestotrotz geht es mir selbst so, dass ich manche Ausführungen von Kolleginnen drei Mal lesen muss, bevor ich einmal nachvollziehen kann, was sie vermutlich wohl meinen. Analysieren wir doch die juristische Sprache einmal kurz. Was macht „Juristendeutsch“ so schwierig für „normale Menschen“?

Geschriebene Sätze eines Juristen sind selten kurz und prägnant, sondern reichen regelmäßig über mehrere Zeilen bis zu einer halben Seite, worin sich neben 25 Kommata ebenso viele verschachtelte Nebensätze finden, die darüber hinaus von möglichst vielen Fremdwörtern durchzogen sind, weil der Jurist schließlich auch belegen muss, dass er einen hohen Bildungsgrad und ein geradezu überbordendes Sprachniveau aufweist, das ihn als Vertreter seines Standes identifiziert, wobei er bisweilen vielleicht auch gar nicht so genau weiß, ob das Fremdwort wirklich das aussagt, was er meint, was allerdings zu Gunsten des vermeintlich anzustrebenden hohen Niveaus vielfach lieber dahingestellt bleibt, was Sie jetzt gerade lesen und wo Sie spätestens jetzt wieder zurückspringen und den Satzanfang suchen, weil Sie schon gar nicht mehr auf dem Schirm haben, wie der angefangen hat und wo er Sie eigentlich hinführen will, darum ist dieser Satz auch bewusst so juristenauthentisch-kompliziert wie möglich konstruiert, damit Sie als Leser besser verstehen können, was ich meine mit dem, was ich hier schreibe.

Juristen haben grundsätzlich auch einen Hang zum geradezu gruseligen Passivstil. Am Ende kommen dann Sätze heraus wie: „Es wurde von dem Unterfertigten der Gegenseite bereits mehrfach in Schriftform anheimgestellt, die allfällige Forderung zeitnah zum Ausgleich zu bringen, aber es muss mit Bedauern festgestellt werden, dass nach wie vor keine Erfüllungswirkung durch sie veranlasst wurde.“

Normalos (Nichtjuristen) würde den selben Inhalt einfach transportieren mit dem Satz „Ich habe Dir bereits x-mal geschrieben, dass Du endlich zahlen sollst, aber ich habe bis heute kein Geld gesehen.“ Dass bei solchen Auswüchsen der eine oder andere Ingenieur oder Techniker (der regelmäßig etwas „profaner“ in den Augen der Juristen formuliert) Krämpfe bekommt, kann ich sehr gut nachvollziehen.

Fazit: Wenn man mag, klappt es auch.

(Bau-)Juristen und „Baumenschen“ werden vermutlich bis in alle Ewigkeit zwei grundverschiedene Welten repräsentieren. Was sie verbindet, ist: Der Baumensch braucht den Bauanwalt (spätestens) dann, wenn die Baustelle ins Stocken geraten ist, er Nachträge generieren möchte oder in irgendeiner Form rechtliche Probleme aufgetreten sind.

Der Bauanwalt bräuchte zwar theoretisch nicht den Baumenschen, aber praktisch ist das Anwaltsleben ohne Mandanten zum einen recht fad, und zum anderen würde der Bauanwalt dann auch kein Geld verdienen.

So wie es Menschen mit unterschiedlicher Haut- oder Augenfarbe, unterschiedlicher Größe und unterschiedlichem Aussehen gibt, so unterschiedlich sind auch die Interessen von Menschen. Darum wird aus dem einen ein Techniker und aus dem anderen ein Jurist, weil er sich jeweils bewusst nach seinen Neigungen seine berufliche Zukunft zusammenzimmert.

Auf der Baustelle treffen diese unterschiedlichen Neigungen, verschiedenen Denkmuster, differenzierten Ziele, Herangehensweisen und unterschiedliche Sprachmuster aufeinander. Recht begegnet Technik – zwei systematisch sehr unterschiedliche Materien. Das Bauen ist ein Phänomen, das beide sozusagen zwangsvereint.

Natürlich gibt es immer wieder genügend Stoff für (berechtigte) Frotzeleien zwischen Juristen und Technikern, und das ist auch gut so. Vermutlich wird der eine nie so ganz verstehen, warum der andere so tickt, wie er tickt. Das ist auch gar nicht nötig.

Wichtig ist eigentlich nur eins: Dass sich beide Disziplinen nicht als Gegner sehen, sondern als Ergänzung und als Partner. Dass sie verstehen, dass der Andere nun einfach mal anders ist, aber am Ende das Gleiche will. Dass sie maximalen Respekt davor haben, was der Andere jeweils leistet. Und wie so oft: Miteinander reden hilft da mehr als übereinander reden. Wenn man mag, dann klappt das auch mit Juristen und Bauleuten.


Günther_Schalk
Günther Schalk ist Fachanwalt für Bau- und
Architektenrecht. Quelle: Franziska Märkel

Zum Autor:

Prof. Dr. jur. Günther Schalk, 52, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, sieht sich selbst nicht als „klassischen Juristen“. Vor seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg hat er eine Ausbildung als Redakteur und Sprecher für Hörfunk und Fernsehen absolviert.

Auch heute arbeitet er nicht nur als Bauanwalt und Partner in der Kanzlei TOPJUS Rechtsanwälte. Schalk betreut auch als Chefredakteur seit vielen Jahren den UnternehmerBrief Bauwirtschaft und ist vielfach als Autor und in der Öffentlichkeitsarbeit aktiv.

Als Trainer und Dozent versucht er nicht nur an den Hochschulen in Hamburg und Deggendorf, künftigen Bauingenieuren rechtliche Grundlagen mitzugeben, sondern auch bei Schulungen u.a. in zahlreichen Baufirmen und Vorträgen.