Wiederverwendung von tragenden Bauteilen: Wie Holz-, Stahl- und Betonelemente zirkulär genutzt werden können
- Linearer Bauprozess soll zur Kreislaufwirtschaft werden
- Recyclingverfahren für sämtliche Baustoffe heute bereits vorhanden
- Digitale Codierung von Bauteilen ermöglicht kontrollierten Rückbau
Technische und biologische Kreisläufe statt linearer Bauprozesse
Um den aktuellen sowie künftigen Bedarf an Hoch- und Infrastrukturbauten mit den begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen in wirtschaftlicher und umweltverträglicher Weise zu decken, ist ein Umdenken in Richtung zirkulärem Bauen unter Berücksichtigung aller Wiederverwertungs- bzw. Recyclingmöglichkeiten unabdingbar.
Das Ziel muss sein, mit möglichst wenig Material möglichst viel zu bauen, dabei Abfall zu vermeiden und sämtliche Materialien im Kreislauf zu behalten (siehe Bild 1).
Statt linearer Prozesse aus Rohstoffgewinnung, Baustoffproduktion, Bauausführung, Rückbau und Entsorgung müssen durch zirkuläre Prozesse Bauteile und Materialien wiederverwendet werden. Dabei ist zwischen technischen Kreisläufen (für anorganische Materialien, wie Metalle oder mineralische Baustoffe) und biologischen Kreisläufen (für organische Materialien, wie Holz) zu unterscheiden.
Kreislaufwirtschaftsgesetz als praktische Leitlinie
Eine praktische Leitlinie für die Qualität eines zirkulären Prozesses ist die Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG):
- Vermeidung von Materialeinsatz, z.B. durch Leichtbau
- Wiederverwendung (re-use) bzw. Weiterverwendung (re-conditioning) und Aufarbeitung (re-manufacturing) von Bauelementen oder ganzen Bauwerken
- Recycling von Baustoffen mit möglichst gleichbleibender oder höherer Qualität
- Verwertung von Baustoffen zur Energiegewinnung, Verfüllung o.?Ä.
- Beseitigung durch Deponierung
Beim Recycling sind im Sinne des zirkulären Bauens die Sammelrate der eingesetzten Materialien am Lebensende eines Zyklus, die Qualität des recycelten Materials im Vergleich zum Ausgangsmaterial sowie die Recyclingrate als Rezyklatanteil am neuen Material von Bedeutung.
Bei Bauholz beträgt die Rückbau-Sammelrate insbesondere für Konstruktionsvollholz oder Brettschichtholz üblicherweise 100 Prozent. Stahlbauprodukte, wie Träger oder Grobblech, werden wegen ihrer Dimensionen ebenso de facto vollständig eingesammelt, Bewehrungsstahl hingegen nur zu etwa zwei Dritteln. Mineralische Materialien wie Beton, Ziegel oder Kalksandstein werden zu 93 Prozent stofflich verwertet.
Beim eigentlichen Recyclingprozess wird bei Holzwerkstoffen etwa ein Drittel Altholz genutzt. Stahlprofile oder Bewehrungsstahl werden oft vollständig aus rezykliertem Material immer wieder in den gleichen Güten hergestellt. Mit Mikrolegierungen oder thermomechanischen Verfahren werden im Sinne von Upcyclings auch höhere Festigkeiten produziert. Für den bisher wenig verwendeten Recycling-Beton werden rezyklierte Gesteinskörnungen und neue Bindemittel benötigt.
Zirkuläre Nutzung: Durch Ausbau geschützte Tragkonstruktionen gut geeignet
Die Wiederverwendung von einzelnen Bauelementen bis hin zu ganzen Bauwerken eröffnet neue Möglichkeiten für zirkuläre Prozesse im Bauwesen. Dies gilt insbesondere für die Tragkonstruktionen, da diese für lange Nutzungsdauern ausgelegt und oft durch die Schichten des Ausbaus vor Abnutzung geschützt sind.
Wiederverwendung von Holz: Tragende Elemente in historischen Bauten bereits oft recycelt
Holzbauunternehmen nehmen Bauelemente für Wiederverwendung zurück
Wiederverwendung von Stahlbauteilen: Schraubverbindungen für Demontage wichtig
Stahlkonstruktionen sind wegen der Verwendung standardisierter Bauelemente und Bauteile, wie Schweißträger und insbesondere Walzprofile, sowie der üblichen Verbindungen mit standardisierten, löslichen Schrauben gut geeignet für Rückbau und Wiederverwendung. Insbesondere dann, wenn komplette Konstruktionen (z.B. Fachwerkbinder) oder Komponenten (z.B. Stützen) demontiert und wiederverwendet werden, sind Schraubverbindungen wichtig.
Werden hingegen einzelne Bauelemente (z.B. Walzprofile) wiederverwendet, sind einfache Brennschnitte an gut zugänglichen Stellen eine ebenbürtige Lösung und erlauben mehr Flexibilität (vgl. Quelle [1]).
Stahlbauteile, die wiederverwendet werden sollen, erfordern zunächst eine Klassifizierung. Liegen hierbei die originalen Materialprüfbescheinigungen vor (Klasse A), können diese durch ein Materialprüfprotokoll ersetzt werden (Klasse B). Ist der Stahl nicht identifizierbar aber schadensfrei, kann er mit C klassifiziert werden.
Bei Klasse A müssen die mechanischen Eigenschaften (Festigkeit, Duktilität, Kerbschlagzähigkeit) und die chemische Zusammensetzung (ggf. für die Schweißspezifikation) nur stichprobenartig, bei Klasse B vollständig bestimmt werden. Klasse C kann für nachgeordnete Bauteile ohne erforderliche CE-Kennzeichnung verwendet werden. Bei Wiederverwendung einzelner Komponenten oder Bauteile statt kompletter Konstruktionen ist eine neue Leistungserklärung erforderlich.
Nach Prüfung der Eignung und Einhaltung der Toleranzen gemäß EN 1090-2 müssen bisher nicht CE-gekennzeichnete Bauteile gemäß EN 1090-1 zertifiziert werden. Vorhandene originale CE-Zeichen erleichtern unter Umständen das Verfahren. Danach entsprechen Planung und Ausführung den üblichen Verfahren des Stahlbaus gemäß EN 1993 (vgl. Quelle [1]).
Die Wiederverwendung von Stahlbauteilen beruht primär auf der Rückverfolgbarkeit der Komponenten und Materialien. Alternativ ist eine zertifizierte, unabhängige Prüfung möglich.
Wiederverwendung von Stahlbetonbauteilen: "Fertigteil 2.0" schafft neuen Ansatz
Die Wiederverwendung von tragenden Beton- und insbesondere Stahlbetonbauteilen stellt einen neuen Ansatz zum zirkulären Bauen dar. Im Unterschied zu Holz und Stahlbauteilen, die als industrielle Halbzeuge vorliegen, werden Stahlbetonkonstruktionen in der Regel vor Ort betoniert und sind meist für die individuellen Bedürfnisse bemessen, konstruiert und gefertigt.
Die Bauteile dieser Stahlbetontragwerke sind monolithisch verbunden und die übliche Rückführung in den Materialkreislauf geschieht als minderwertiges Recyclingmaterial nach einem destruktiven Abbruch. Das Forschungsvorhaben "Fertigteil 2.0" will mit real-digitalen Prozessketten Betonbauteile aus Bestandsbauten für die Wiederverwendung bei Neubauten gewinnen (vgl. Quelle [2]).
Kontrollierter Rückbau dank digital codierter Betonbauteile
Im ersten Schritt werden dabei wiederverwendbare Betonbauteile aus Planungsunterlagen und Ortserkundungen identifiziert und digital codiert. Danach erfolgt der kontrollierte Rückbau mit der Erhaltung maximal möglicher Bauteillängen. Mit digitalen Erfassungstechniken werden die Bauteile in Datenmodelle überführt und mit zusätzlichen Attributen versehen.
Diese Bauteile sollen nach der digitalen Erfassung universell bei Neubauten wiederverwendbar sein ("Fertigteil 2.0") und entweder ihre ursprüngliche Funktion beibehalten (Stütze bleibt Stütze; Bauteil wird ggf. zusätzlich verstärkt) oder in ihrer Funktion durch Kombination mit neuen Werkstoffen und Bautechniken verändert werden (z.B. Stütze wird Träger durch nachträglich aufgeklebte CFK-Lamellen).
Perspektiven der Wiederverwendung von Bauteilen
Wie die beschriebene Wiederverwendung von Stahlbetonbauteilen zeigt, spielt die Digitalisierung eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Wiederverwendung von Bauteilen (siehe Bild 3).
Der klassische Weg, neue Bauwerke allein basierend auf den verfügbaren, wiederzuverwendenden Bauteilen zu entwerfen, schränkt die Kreativität und Entwurfsfreiheit ein.
Anders herum gedacht können Bestandsbauteile in einem davon unabhängigen Entwurf mit neuen Planungsmethoden integriert werden. Algorithmen zur automatisierten Zuordnung von entworfener Geometrie und wiederzuverwendenden Bauteilen stellen die effiziente zirkuläre Nutzung sicher und verhindern, dass die Wiederverwendung zum Hemmschuh des kreativen Schaffens und der effizienten Planung wird.
Bauwirtschaftliche Effizienz durch digitalen Ressourcenausweis und Online-Marktplatz
Ein digitaler Ressourcenausweis kann Auskunft über Herkunft, Materialeigenschaft und Alter eines Bauteils geben. Ein ebenfalls digitaler Online-Marktplatz kann Angebot und Nachfrage zusammenbringen, sodass Logistik und Transport die positiven Effekte bewahren.
(Der Beitrag ist eine Kurzfassung des Essays "Perspektiven zirkulären Bauens – Wiederverwendung von tragenden Bauteilen Holz, Stahl und Beton" von Bernhard Hauke, Bo Kasal, Harald Kloft und Oliver Tessmann aus dem Jahrbuch INGENIEURBAUKUNST 2022, Verlag Ernst & Sohn (2021).)
QUELLEN UND VERWEISE:
[1] Hauke, B. (Hrsg.) (2021): Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Klimaschutz. Berlin: Verlag Ernst & Sohn.
[2] Tessmann, O.; Kloft, H. et al. (2021): Forschungsvorhaben Fertigteil 2.0