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Bahnanlagen mit mehreren Gleisen unterschiedlich abrechnen

Verfasst von: Dipl.-Ing. Ulrich Welter
Veröffentlicht am: 23. Nov. 2016
Kategorie:

# 30.11.2016

Unterschiedliche Honorarordnungen aufgrund von Altverträgen weiterhin relevant. Minderungsvorschriften nur teilweise gegeben. Freie Honorarvereinbarung muss bei Auftragserteilung und auf schriftlicher Urkunde erfolgen

Honorarvorschrift in den jeweiligen Fassungen im Vergleich

Je nach Fassung der HOAI variieren die Honorarvorgaben für die Planung von mehrgleisigen Bahnanlagen. Foto: Rike / Pixelio
Je nach Fassung der HOAI variieren die Honorarvorgaben für die Planung von mehrgleisigen Bahnanlagen. Foto: Rike / Pixelio

Das Leistungsbild "Verkehrsanlagen" enthält neben Straßen auch Anlagen des Schienenverkehrs. Das Honorar für Planungs- und Überwachungsleistungen für solche Anlagen richtet sich deshalb nach der HOAI.

Der Gesetzgeber hat allerdings für Sonderfälle auch Sonderregelungen verordnet. Eine davon gilt für Bahnanlagen mit mehreren Gleisen.

Weil viele Büros auch noch Aufträge aus der Zeit vor der HOAI 2013 bearbeiten, werden im Folgenden die Honorarvorschriften (Relevante HOAI-Bestimmungen im Wortlaut) aus der HOAI 1996/2002, der HOAI 2009 und der HOAI 2013 gegenübergestellt:


HOAI-Bestimmungen richtig anwenden

Aus dem Verordnungstext in § 52 Abs. 5 (HOAI 1996/2022) bzw. § 46 Abs. 5 Nr. 2 S. 1 (HOAI 2013) geht eindeutig hervor, dass bei Bahnanlagen mit zwei Gleisen die zuvor ermittelten Kosten nur zu 90 Prozent anrechenbar sind, wenn die zwei Gleise ein gemeinsames Planum haben.

Der Verordnungsgeber hat exakt angegeben, welche Kosten nur eingeschränkt gelten sollen. Für den Geltungsbereich der HOAI 1996/2002 sind das auch die Kosten gem. § 10 Abs. 3 (ortsübliche Preise), § 10 Abs. 3a (mitverarbeitete Bausubstanz) sowie § 10 Abs. 4 (Technische Ausrüstung). Dies ergibt sich aus § 52 Abs. 5 HOAI 1996/2002 i. V. m. § 52 Abs. 3 HOAI 1996/2002.


Verminderung der Kosten ab HOAI 2009 nicht mehr angegeben

Für die HOAI 2009 und 2013 gilt dies nicht. Denn nach § 45 Abs. 3 HOAI 2009 bzw. § 46 Abs. 5 HOAI 2013 und den dortigen Querverweisen auf die Abs. 1 bis 2 (HOAI 2009) und Abs. 1 bis 4 (HOAI 2013) ist kein Querverweis auf § 4 Abs. 2 bzw. Abs. 3 enthalten.

Folge: Bei Maßnahmen, die nach der HOAI 2009 bzw. 2013 zu honorieren sind, werden die Kosten der mitverarbeiteten Bausubstanz und der ortsüblichen Preise nicht auf 90 Prozent reduziert (wobei die HOAI 2009 keine Regelung zur mitverarbeiteten Bausubstanz enthält).

Aus dem Verordnungstext ergibt sich auch, dass die Reduzierung nicht für die Lph 8 (Bauoberleitung) gilt. Im Geltungsbereich der HOAI 1996/2002 gilt dies auch für die Örtliche Bauüberwachung, die nach den Vorschriften des § 57 HOAI zu honorieren ist. Die Reduzierung gilt auch nicht für Bahnanlagen mit einem Gleis oder mit mehr als zwei Gleisen.


Honorar bei Bahnanlagen mit mehr als zwei Gleisen frei vereinbar

Aus § 52 Abs. 9 (HOAI 1996/2022) bzw. § 46 Abs. 5 Nr. 2 S. 2 (HOAI 2013) geht eindeutig hervor, dass das Honorar für Leistungen bei Bahnanlagen mit mehr als zwei Gleisen frei vereinbart werden kann. Diese Anlagen sind von der HOAI nicht erfasst. Den Parteien steht es frei, ein Honorar in beliebiger Höhe zu vereinbaren.

Diese Regelung gilt auch für den Anwendungsbereich der HOAI 2013. Allerdings gilt hier nicht eine Abrechnung nach Zeitnachweis als Auffangtatbestand. Dies ist entfallen, weil seit der HOAI 2009 die Stundensätze nicht mehr verordnet sind. "Frei vereinbaren" heißt hier, losgelöst von der HOAI vereinbaren zu können.

Für den Anwendungsbereich der HOAI 1996/2002 gilt, dass, wenn die Parteien ein Honorar nicht schriftlich und bei Auftragserteilung vereinbaren, das Honorar als Zeithonorar nach § 6 (HOAI 1996/2002) zu berechnen ist. Haben die Parteien für solche Fälle auch keine Stundensätze vereinbart, so sind die Mindestsätze gem. § 6 (HOAI 1996/2002) anzuwenden.


Parteien müssen Honorar auf einer Urkunde vereinbaren

Die Anforderung an "schriftlich" und "bei Auftragserteilung" entspricht jeweils der, die auch für die Honorarvereinbarung insgesamt gilt. "Schriftlich" heißt, dass die gesetzliche Schriftform gem. § 126 BGB einzuhalten ist. Die beiden Unterschriften der Parteien müssen auf einer Urkunde (z. B. Ingenieurvertrag) sein.

Liegt nur ein Angebotsschreiben des Ingenieurs und ein Auftragsschreiben des Auftraggebers vor, ist das Honorar nicht "schriftlich" vereinbart. Denn die beiden Unterschriften liegen nur getrennt auf zwei Urkunden vor. Dadurch ist die Honorarvereinbarung unwirksam. Es liegt dann zwar ein Auftrag, aber keine Honorarvereinbarung vor. Das hat zur Folge, dass der Planer gem. § 4 Abs. 4 HOAI 1996/2002 bzw. § 7 Abs. 5 HOAI 20134 nach den Mindestsätzen abrechnen muss.

Gleiches gilt, wenn die Honorarvereinbarung zwar "schriftlich" aber nicht "bei Auftragserteilung" getroffen wurde. Der Satz "Fangen Sie schon mal an, den Vertrag machen wir später" ist nicht unüblich, führt aber regelmäßig dazu, dass die Honorarvereinbarung nicht "bei Auftragserteilung" ("fangen Sie an") getroffen wurde. Die Folgen der später zwar getroffenen aber unwirksamen Honorarvereinbarung sind oben beschrieben.


Für HOAI 2009 gelten andere Regeln

In der HOAI 2009 gilt die Regelung, dass das Honorar bei Anlagen mit mehr als zwei Gleisen frei vereinbart werden kann, nicht. Das bedeutet, dass sich das Honorar bei Bahnanlagen mit mehr als zwei Gleisen nach den Vorschriften der HOAI richtet. Zudem findet eine Reduzierung der anrechenbaren Kosten nicht statt, weil die Vorschrift in § 45 Abs. 3 ausdrücklich nur für Bahnanlagen mit zwei Gleisen gilt.


Beispiele: Vier konkrete Planungs- und Abrechnungsfälle im Überblick

Damit das oben gesagte besser verständlich wird, sind nachfolgend vier konkrete Planungs- und Abrechnungsfälle im Leistungsbild Verkehrsanlagen dargestellt:

  1. Fall: Durchgehende Strecke / Schienenverkehrsanlage, zweigleisig, gemeinsames Planum

    HOAI 1996/2002: Die anrechenbaren Kosten sind gem. § 52 Abs. 5 Nr. 4 HOAI um 10% auf 90% zu reduzieren.

    HOAI 2009: Die anrechenbaren Kosten sind gem. § 45 Abs. 3 HOAI um 10% auf 90% zu reduzieren.

    HOAI 2013: Die gem. § 46 Abs. 1 bis 4 ermittelten anrechenbaren Kosten sind gem. § 46 Abs. 5 Nr. 2 Satz 1 HOAI um 10% auf 90% zu reduzieren. Die anrechenbaren Kosten gem. § 4 Abs. 2 und Abs. 3 sind nicht zu reduzieren sondern vollständig anzusetzen.

  2. Fall: Durchgehende Strecke / Schienenverkehrsanlage, zweigleisig, kein gemeinsames Planum

    HOAI 1996/2002: Die anrechenbaren Kosten sind nicht zu reduzieren.

    HOAI 2009: Die anrechenbaren Kosten sind nicht zu reduzieren.

    HOAI 2013: Die gem. § 46 Abs. 1 bis 4 ermittelten anrechenbaren Kosten sind gem. § 46 Abs. 5 Nr. 2 S.1 HOAI um 10% auf 90% zu reduzieren. Die anrechenbaren Kosten gem. § 4 Abs. 2 und Abs. 3 sind nicht zu reduzieren sondern vollständig anzusetzen.

  3. Fall: Durchgehende Strecke / Schienenverkehrsanlage, dreigleisig bzw. mehr als zwei Gleise, gemeinsames Planum

    HOAI 1996/2002: Das Honorar kann frei vereinbart werden (§ 52 Abs. 9 HOAI).

    HOAI 2009: Das Honorar richtet sich nach den Vorschriften der HOAI. Es kann nicht frei vereinbart werden. Die anrechenbaren Kosten werden nicht reduziert.

    HOAI 2013: Das Honorar kann frei vereinbart werden (§ 46 Abs. 5 Nr. 2 S. 2 HOAI).

  4. Fall: Durchgehende Strecke / Schienenverkehrsanlage, dreigleisig bzw. mehr als zwei Gleise, davon zwei Gleise gemeinsames Planum

    HOAI 1996/2002: Das Honorar kann frei vereinbart werden (§ 52 Abs. 9 HOAI).

    HOAI 2009: Das Honorar richtet sich nach den Vorschriften der HOAI. Es kann nicht frei vereinbart werden. Die anrechenbaren Kosten werden nicht reduziert.

    HOAI 2013: Das Honorar kann frei vereinbart werden (§ 46 Abs. 5 Nr. 2 S. 2 HOAI).


Sonderfall Zugbildungsanlage

Zuletzt wird noch der Sonderfall Planung und Abrechnung einer Zugbildungsanlage behandelt. Diese soll beispielhaft bestehen aus

  • einer Einfahrgruppe mit sieben Gleisen, davon je zwei Gleise mit gemeinsamem Planum,
  • einem Ablaufberg,
  • einer Richtungsgruppe mit 30 Gleisen, davon je zwei Gleise mit gemeinsamem Planum und
  • einer Ausfahrgruppe mit drei Gleisen, gemeinsames Planum.
Die Gleisanlagen der Zugbildungsanlage stellen insgesamt ein Objekt im Leistungsbild Verkehrsanlagen dar. Sie sind eine funktionale Einheit und können die Aufgabe (Züge zu bilden) nur durch gemeinsame Funktion erfüllen. Es ist hier nicht von Bedeutung, ob die sieben Gleise der Einfahrgruppe auch ohne die 30 Gleise der Richtungsgruppe betrieben werden können. Ausschlaggebend ist die Gesamtfunktion (Funktionalprinzip).

Davon losgelöst ist der Ablaufberg ein Ingenieurbauwerk (hier: Erdbauwerk, vergleichbar einem Bahndamm oder einer Rampe zu einer Brücke). Das Ingenieurbauwerk kann nicht im Leistungsbild Verkehrsanlagen abgerechnet werden. Es ist getrennt abzurechnen. Verläuft neben der Zugbildungsanlage noch eine durchgehende Strecke, so hat diese eine völlig andere Funktion und stellt ein eigenständiges Objekt dar.



QUELLEN UND VERWEISE:

Planungsbüro professionell (PBP)