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BGB: Neues Ingenieurvertragsrecht im Überblick

Verfasst von: RA Dr. Andreas Schmidt, Köln
Veröffentlicht am: 26. Nov. 2015
Kategorie:

# 27.11.2015

Erstmals eigener Ingenieurvertrags-Teil im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geplant. Neuregelungen könnten 2017 in Kraft treten. Erklärte Ziele: Belastung der Planer reduzieren und Verbraucherschutz erhöhen

Einzug ins BGB: Ein Quantensprung

Bereits eine der nächsten Ausgaben des BGB könnte eigene Regelungen zum Ingenieurvertrag enthalten. Foto: Tommy Kujus / Pixelio
Bereits eine der nächsten Ausgaben des BGB könnte eigene Regelungen zum Ingenieurvertrag enthalten. Foto: Tommy Kujus / Pixelio

Als "Quantensprung für die planenden Berufe" bewertete Stefan Leupertz, ehemaliger Richter am VII. Zivilsenat (Bausenat) des BGH, auf dem Deutschen Architektentag den Referentenentwurf des "Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung".

Und in der Tat ist es sehr erfreulich, dass es für Architekten und Ingenieure künftig im BGB einen eigenständigen Architekten- und Ingenieurvertrags-Teil geben wird (§ 650o bis 650s BGB). Lernen Sie dessen Grundzüge kennen und erfahren Sie, wann es gesetzlich ernst wird.


Stand und Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens

Der Referentenentwurf (Abruf-Nr. 145636) ist sozusagen die erste "Leistungsphase" in einem Gesetzgebungsverfahren. Die anderen – beteiligten – Bundesministerien hatten bis Ende November Gelegenheit, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Ein Kabinettsbeschluss der Bundesregierung ist für Januar 2016 geplant.

Danach wird der Entwurf als Regierungsentwurf in den Bundestag eingebracht und dort – gegebenenfalls mit Änderungen – als Gesetz beschlossen. Das Gesetzgebungsverfahren soll bis zur Sommerpause 2016 abschgelossen sein. Die Neuregelungen würden dann Anfang 2017 in Kraft treten.


Fünf Neuerungen für Planer besonders wichtig

Nachfolgend finden Sie fünf Neuregelungen, die für Sie ganz besonders von Bedeutung sind, näher erläutert. Zur verständlicheren Einordnung werden dem Inhalt der Neuregelung der "Status Quo", die Ziele der Neuregelung und die offenen Fragen gegenübergestellt.


1. Gesetzliche Definition des Architekten-/Ingenieurvertrags

Status Quo: Bisher enthält das BGB keine Legaldefinition eines Architekten-/Ingenieurvertrages. Dieser wird regelmäßig als Werkvertrag (§ 631 BGB) eingeordnet.

Die Neuregelung: Ein Architekten-/Ingenieurvertrag als Spezialfall des Werkvertrages ist nach § 650o BGB-E dadurch gekennzeichnet, dass der A./I. die nach dem jeweiligen Planungs-/Ausführungsstand erforderlichen Leistungen zu erbringen hat, um die vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen. Solange die Ziele nicht vereinbart sind, hat der A./I. die zur Konkretisierung dieser Ziele notwendigen Leistungen zu erbringen.

Ziele der Neuregelung: Mit dieser Definition soll die Pflichtenstellung des A./I. präziser beschrieben werden. Zudem soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Konkretisierung der Planung ein längerer Prozess sein kann, an dem der Bauherr mitzuwirken hat, indem er die nötigen Vorgaben macht.

Offene Fragen: Im Entwurf wird bewusst darauf verzichtet, einen Bezug zur HOAI herzustellen, da diese lediglich eine Gebührenordnung darstellt und ggf. nicht alles abdeckt, was die Parteien als Ziele vereinbaren. Insofern sind bei der honorarrechtlichen Bewertung anfangs Schwierigkeiten zu erwarten.

Der HOAI-Verordnungsgeber sollte zu gegebener Zeit prüfen, ob Anpassungsbedarf an die neue Rechtslage besteht. Vermutlich werden die ersten beiden Leistungsphasen der HOAI im Hinblick auf die neue "Zielfindungsphase" neu zu strukturieren sein (hierzu unten mehr).


2. Sonderkündigungsrecht nach Zielfindungsphase

Die geplante Einführung einer so genannten Zielfindungsphase wird nach Einschätzungen von Experten Planern und ihren Kunden zunächst einige Schwierigkeiten bereiten. Foto: Erhard Fischer / Pixelio
Die geplante Einführung einer so genannten Zielfindungsphase wird nach Einschätzungen von Experten Planern und ihren Kunden zunächst einige Schwierigkeiten bereiten. Foto: Erhard Fischer / Pixelio

Status Quo: Nach dem BGB-Werkvertragsrecht kann der Bauherr den Vertrag jederzeit frei kündigen. Er hat dann aber dem A./I. die vereinbarte Vergütung für die erbrachten sowie für nicht erbrachte Leistungen zu zahlen (abzüglich ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs; vgl. § 649 BGB).

Eine Möglichkeit der Sonderkündigung besteht nicht. Lediglich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ist beiden Vertragspartnern eine außerordentliche Kündigung möglich.

Die Neuregelung: Solange die Parteien die Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart haben, befinden sie sich in der "Zielfindungsphase". Am Ende dieser Phase hat der A./I. die erstellten Planungsgrundlagen zusammenzustellen und dem Bauherrn zusammen mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung vorzulegen. Dabei kann der A./I. dem Bauherrn eine angemessene Frist zur Zustimmung setzen. Der Bauherr kann nach Erhalt dieser Unterlagen binnen zwei Wochen den Vertrag kündigen. Verbraucher sind darauf bei Vorlage der Unterlagen in Textform hinzuweisen.

Dem A./I. steht ebenfalls ein Sonderkündigungsrecht zu, wenn der Bauherr seine Zustimmung verweigert oder innerhalb der gesetzten angemessenen Frist keine Erklärung abgibt. Nach einer solchen Sonderkündigung kann der A./I. nur Vergütung für die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen verlangen (§ 650q BGB-E).

Ziele der Neuregelung: Der Verbraucher soll vor übereilten Vertragsabschlüssen geschützt werden, von denen er sich nur zu ungünstigen Bedingungen wieder lösen kann. Ein entsprechendes Bedürfnis wird auch im B2B-Bereich (Anm. d. Red.: d.h. bei der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Unternehmen) gesehen, wie die hier regelmäßig anzutreffenden Stufenverträge zeigen.

Offene Fragen: Fraglich ist, ob die Praxis diese recht formalisierte Regelungsmechanik korrekt umsetzen wird. Probleme können sich vor allem bei der Belehrung des Verbrauchers ergeben. Ist diese nicht oder nur unzureichend erfolgt, wird der Verbraucher auch nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist noch kündigen können. Wenn der A./I. dann bereits weitere Leistungen erbracht hat, stellt sich die Frage, ob er diese auch vergütet erhält.

Zu befürchten ist zudem, dass Bauherren die Regelung als gesetzliche Normierung einer honorarfreien Akquisitionsphase missverstehen. Dies wäre indes verfehlt, denn in einer Akquisitionsphase besteht gerade noch keine vertragliche Bindung, sodass es danach auch keiner Kündigung bedarf.

Die honorarrechtliche Einordnung der Zielfindungsphase wird anfangs – bis zu einer Anpassung der HOAI – Schwierigkeiten bereiten, da sie die Lph 1 und Teile der Lph 2 umfasst ("Kosteneinschätzung").


3. Teilabnahme nach Abschluss der Bauarbeiten

Status Quo: Teilabnahmen sind nach dem BGB (nur) möglich, wenn die Parteien dies vereinbart haben. Architekten-/Ingenieurverträge sehen das aber selten vor. Die Folge sind Haftungsprobleme, wenn A./I. auch die Lph 9 übernommen haben. Sie können dann erst nach Ende der Lph 9 die Abnahme verlangen. Erst dann beginnt die Verjährungsfrist für Mängelansprüche gegen den A./I. Diese läuft dann oft deutlich länger als die Fristen im Verhältnis zu den Bauunternehmen. Der Rückgriff des A./I. gegen den Bauunternehmer wird erschwert.

Die Neuregelung: Der A./I. soll ab der Abnahme der letzten Leistung des/der Bauunternehmer(s) eine Teilabnahme der von ihm bis dahin erbrachten Leistungen verlangen können (§ 650r BGB-E).

Ziele der Neuregelung: Es soll ein Gleichlauf der Verjährungsfristen für Mängelansprüche gegenüber den Bauunternehmen einerseits und den A./I. andererseits erreicht werden, um dem A./I. Rückgriffsmöglichkeiten gegen die Bauunternehmen offen zu halten.

Offene Fragen: Bauherren werden auf die Idee kommen, die Möglichkeit einer Teilabnahme vertraglich auszuschließen. Da es sich um so genanntes dispositives Recht (Anm. d. Red.: d.h. nicht zwingendes Recht) handelt, wird dies individualvertraglich möglich sein. Fraglich ist jedoch, ob die Teilabnahme auch durch AGB des Bauherrn ausgeschlossen werden kann. Da der geplanten Neuregelung eine Leitbildfunktion mit wesentlichem Gerechtigkeitsgehalt zukommen dürfte, erscheint dies zweifelhaft. Dies werden die Gerichte zu klären haben.


4. Gesamtschuldnerische Haftung

Status Quo: A./I. und Bauunternehmer haften für Mängel am Bauwerk als Gesamtschuldner (vorausgesetzt, dem A./I. ist ein Planungs- oder Bauüberwachungsfehler unterlaufen).

Die Neuregelung: Die Gesamtschuld bleibt grundsätzlich bestehen. Sie wird aber eingeschränkt: Der Bauherr kann den A./I. erst dann als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen, wenn er dem Bauunternehmer zuvor erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (§ 650s BGB-E).

Ziele der Neuregelung: Der Gesetzgeber will die überproportionale Belastung der A./I. im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung mit dem Bauunternehmer reduzieren. Allzu oft wird bei Baumängeln unmittelbar der A./I. auf Schadenersatz in Anspruch genommen, ohne dass zuvor zumindest versucht wurde, den Mangel nachzubessern. Eine komplette Abschaffung der Gesamtschuld würde indes allein den Bauherrn benachteiligen und ist daher nicht zuletzt aus Verbraucherschutzgründen nicht geplant.

Offene Fragen: Liegt eine "erfolglose" Fristsetzung gegenüber dem Bauunternehmer auch vor, wenn dieser sich bemüht, den Mangel zu beseitigen, dies aber nicht gelingt? Muss der Bauherr dem A./I. Gelegenheit geben, die Mängelbeseitigung zu planen und/oder zu überwachen?

Außerdem: Was gilt, wenn der Bauunternehmer insolvent wird? Vermutlich wird der Bauherr hier zunächst dem Insolvenzverwalter eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen müssen, jedenfalls solange der die Erfüllung des Vertrags nicht abgelehnt hat. Was aber gilt, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde? Oder wenn das Bauunternehmen aus anderen Gründen nicht mehr existiert?

Auch mit dieser Regelung werden die Gerichte sich aufgrund der Vielzahl der denkbaren Fallkonstellationen zu befassen haben – was aber kein Argument gegen die vorgesehene gesetzliche Regelung darstellt.


5. Schriftform bei Vertragskündigungen

Status Quo: Die Kündigung des Architekten-/Ingenieurvertrags ist ohne Beachtung einer bestimmten Form möglich, also auch mündlich.

Die Neuregelung: Die Kündigung des Architekten-/Ingenieurvertrags bedarf der Schriftform (§ 650p i.V.m. § 650g BGB-E).

Ziele der Neuregelung: Ebenso wie bei Bauverträgen, wird die Schriftform der Kündigung aus Gründen der Rechtssicherheit für erforderlich erachtet.

Offene Fragen: Fraglich ist, ob eine derartige Formstrenge wirklich erforderlich ist. Ein Telefax oder eine einfache E-Mail genügen der Schriftform nicht. Erforderlich ist hierfür ein eigenhändig unterzeichnetes Dokument oder eine E-Mail mit einer qualifizierten elektronischen Signatur. Hier werden Formverstöße in der Praxis nicht ausbleiben.



QUELLEN UND VERWEISE:

Planungsbüro professionell (PBP)