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SiGeKo: Warum die Einbindung in der Planungsphase sinnvoll ist

Verfasst von: Dipl.-Ing. Arch. Dominik Lorentzen (SiGe-Koordinator nach RAB 30), DGI Bauwerk (Berlin)
Veröffentlicht am: 1. Okt. 2019
Kategorie:
  • Beauftragung der Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Koordination erst während der Ausführung üblich
  • Bauherr trägt ohne fachliche Beratung Risiko durch Fürsorgepflicht allein
  • Rechtzeitige Einbindung in Planung spart Kosten und Zeit

Koordinatoren für Sicherheits- und Gesundheitsschutz seit 20 Jahren auf Baustellen

Im vergangenen Jahr feierte die Baustellenverordnung bereits ihr zwanzigjähriges Bestehen. Seither stellt der Gesetzgeber den Bauherren in der Regel den Koordinator für Sicherheits- und Gesundheitsschutz auf Baustellen als arbeitsschutztechnische Beratung zur Seite.
Sigeko
Seit 20 Jahren ist die Sicherheits- und
Gesundheitsschutz-Koordination laut Baustellenverordnung
Pflicht. Grafik: DGI Bauwerk Gesellschaft von Architekten mbH
Doch wie steht es um die Akzeptanz der Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Koordination (SiGeKo) und deren Integration in den Bau- und Planungsprozess? Und welches Potential besteht in einer frühzeitigen Beteiligung?
Häufig wird die Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Koordination eher als "notwendiges Übel" empfunden, die den Bauablauf stört, da durch die Hinweise auf fehlende Schutzmaßnahmen Zeitverlust und zusätzliche Kosten befürchtet werden.
Allerdings wird dabei vergessen, dass Investitionen in Kosten und Zeit für präventive Maßnahmen deutlich geringer sind als jene für aufwändige Wartungsarbeiten am Gebäude oder gar schwere Unfälle.

Innerbetrieblicher Arbeitsschutz nicht Sache der SiGeKo

Der Aufgabenbereich der SiGeKo wird mehrheitlich in der Ausführungsphase von Bauvorhaben gesehen und wahrgenommen. Aufgrund der meist unmittelbar erkennbaren Gefahren und der Vielzahl an Beschäftigten auf Baustellen ist der Koordinationsbedarf für die meisten Projektbeteiligten dort am ehesten nachvollziehbar.

Allerdings müssen die SiGe-Koordinatoren dabei nicht selten auf die Abstellung von Mängeln hinwirken, welche ein unzureichender innerbetrieblicher Arbeitsschutz von Baufirmen hinterlässt, obwohl ihr eigentlicher Aufgabenbereich in der Sicherung der Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Arbeitgebern auf der Baustelle liegt.

Bauherr ist Arbeitgeber mit Fürsorgepflicht

Potentiale der SiGe-Koordination in der Planungsphase und damit die Chance, ein Bauvorhaben nachhaltig rechts- und kostensicher zu planen, ist vielen Projektbeteiligten nicht bewusst. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die SiGe-Koordination oft erst kurz vor Beginn der Ausführungsphase bestellt wird. Der Gesetzgeber sieht dies jedoch anders vor. Warum eigentlich?

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Bauherren tragen sowohl während der Bauphase als auch während des Betriebs eines Gebäudes als Arbeitgeber die Fürsorgepflicht. Grafik: DGI Bauwerk Gesellschaft von Architekten mbH

Jeder Bauherr betreibt mit seiner Baustelle eine mindestens vorübergehende Arbeitsstätte. Handelt es sich bei dem Bauvorhaben außerdem um ein gewerblich genutztes Objekt, entsteht sogar eine dauerhafte Arbeitsstättennutzung.

Nicht jeder Bauherr verfügt über Erfahrungen als Arbeitgeber. Trotzdem obliegt ihm die Fürsorgepflicht nach §4 Punkt 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) für die in diesem Zusammenhang von ihm beschäftigten Firmen und deren Mitarbeiter.

SiGeKo berät zu Ausstattung, Nachbarschutz und Verkehrssicherung

Bauherren erhalten durch die beigestellte SiGe-Koordination sachkundige Beratung, um Haftungsrisiken vermeiden und die Sicherheit der Beschäftigten erhöhen zu können. Bei vorschriftsmäßiger Organisation des Arbeitsschutzes wird ein funktionierender innerbetrieblicher Arbeitsschutz der ausführenden Firmen vorausgesetzt.

Der Bauherr ist für die Sicherung der "Schnittstellen" verantwortlich. Dazu zählen

  • die mögliche gegenseitige Gefährdung verschiedener Arbeitgeber,
  • die regelkonforme übergeordnete Ausstattung der "Arbeitsstätte Baustelle",
  • der Schutz von Nachbarn und
  • die öffentliche Verkehrssicherung im Bereich der Baustelle.

Fertiges Gebäude als temporäre Arbeitsstätte absichern

Die Sicherung der "Arbeitsstätte Baustelle" ist nur eine Hälfte des Verantwortungsbereichs des Bauherrn. Die andere Hälfte ergibt sich, wenn das fertig gestellte Gebäude zur Arbeitsstätte des Nutzers und zeitweise auch zur Arbeitsstätte im Zuge von Wartung, Instandsetzung oder Reinigung wird.

Durch die Beauftragung von Firmen zur Ausübung dieser Tätigkeiten bzw. Arbeiten entstehen kurzzeitige Arbeitgeber-Beschäftigten-Verhältnisse, so dass man von temporären Arbeitsstätten spricht. Dem Nutzer eines fertigen Gebäudes, welcher möglicherweise auch der Bauherr ist, obliegt bei Wartung, Reinigung und Instandhaltung die Fürsorgepflicht nach ArbSchG (vgl. oben) für die Sicherheit der von ihm beschäftigten Personen in Bezug auf die temporäre Arbeitsstätte. Der innerbetriebliche Arbeitsschutz der Firmen bleibt davon unberührt.

Dies bedeutet, dass Arbeitsbereiche dem Stand der Technik entsprechend erreichbar und die jeweiligen Arbeiten sicher durchführbar sein müssen. Wenn hierfür besondere temporäre Hilfsmittel oder Schutzmaßnahmen erforderlich sind, muss die ausführende Firma hierüber im Vorfeld informiert werden und diese auch nutzen.

Arbeitsschutzrecht kennt keinen Bestandschutz

Falls während der Planung der Gebäude arbeitsschutztechnische Vorschriften außer Acht gelassen wurden, kann dies nicht nur zum Rechtsstreit, sondern auch zu kostspieligen Anpassungsverlangen der zuständigen Arbeitsschutzbehörden führen. Erschwerend kommt hinzu, dass man im Arbeitsschutzrecht - anders als im Bauordnungsrecht - keinen Bestandschutz geltend machen kann.

Hintergrund ist, dass das Arbeitsschutzrecht ein dynamisch aufgebautes Rechtsgebiet ist, dass zur Erreichung der Schutzziele den Stand der Technik, der Arbeitsmedizin, der Hygiene und sonstiger gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse berücksichtigt (vgl. §4 ArbSchG).

Musterbauordnung schreibt Schutz bei Wartung, Instandsetzung und Reinigung vor

Der Schutzbedarf von Beschäftigten und Nutzern im Zusammenhang mit Wartung, Instandsetzung und Reinigung geht nicht zuletzt aus den Landesbauordnungen hervor. Vergleichend heißt es hierzu in den allgemeinen Anforderungen des §3 der Musterbauordnung (MBO):

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Für die Wartung und Pflege eines Gebäudes schreiben Arbeitsschutzgesetz und Musterbauordnung den Sicherheits- und Gesundheitsschutz vor. Grafik: DGI Bauwerk Gesellschaft von Architekten mbH

Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden.

Dies wird beispielsweise für die Arbeitsbereiche Dach und Fassade im §32 (8) und §37 (1) MBO konkretisiert:

Für vom Dach aus vorzunehmende Arbeiten sind sicher benutzbare Vorrichtungen anzubringen. Können die Fensterflächen nicht gefahrlos vom Erdboden, vom Innern des Gebäudes, von Loggien oder Balkonen aus gereinigt werden, so sind Vorrichtungen wie Aufzüge, Halterungen oder Stangen anzubringen, die eine Reinigung von außen ermöglichen.

Hinzu kommen die allgemeinen Grundsätze des §4 ArbSchG, insbesondere die beiden Kernaussagen, nämlich Gefahren an ihrer Quelle zu bekämpfen und persönliche Schutzmaßnahmen als nachrangig zu betrachten.

Um diese grundlegenden Anforderungen rechtzeitig im Planungsprozess berücksichtigen zu können, ist die frühzeitige Erstellung der Unterlage für spätere Arbeiten am Gebäude nach §3 (2) Nr. 3 Baustellenverordnung bzw. nach den Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB), hier RAB 32, und eine damit einhergehende Beratung von Planern und Bauherren von großer Bedeutung.

SiGeKo spätestens in Leistungsphase 3 berücksichtigen

In der Praxis zeigt sich, dass es bereits gegen Ende der Leistungsphase 2 der HOAI, spätestens aber mit Beginn der Leistungsphase 3 sinnvoll ist, die arbeitsschutzrechtlichen Belange in der Planung zu berücksichtigen. Fehler lassen sich dann noch rechtzeitig beheben und die notwendigen dauerhaften Sicherungseinrichtungen können in die Kostenberechnung einfließen.

An dieser Stelle sind die Erfahrung, das planerische Verständnis sowie das räumliche Vorstellungsvermögen der SiGe-Koordinatoren gefragt. Es genügt nicht, eine Auflistung späterer Arbeiten zusammenzutragen und die damit verbundenen Gefährdungen und möglichen Schutzmaßnahmen zu benennen. Planer und Bauherren benötigen in dieser Phase dieselbe fachliche Beratung wie bei der Absicherung von Baustellen.

Arbeitsschutzgesetz: Technische Schutzmaßnahmen wichtiger als persönliche

Nicht selten leisten SiGe-Koordinatoren Pionierarbeit, wenn sie Bauherren und Planungsbeteiligten den gesetzmäßigen Hintergrund und die Hierarchie der Schutzmaßnahmen nach dem TOP-Prinzip (d.h. Vorrang von technischen vor organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen) erläutern.

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Bevor bei der Wartung und Pflege von Gebäuden im Außenbereich an eine individuelle Schutzausrüstung (z.B. Seilsicherung) gedacht werden kann, gilt es technische Schutzmaßnahmen umzusetzen. Grafik: DGI Bauwerk Gesellschaft von Architekten mbH

So ist zum Beispiel bei der Sicherung von Dachflächen für viele Planer eine Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) bzw. Seilsicherung oft die erste Wahl, obwohl es nach dem §4 ArbSchG die letzte sein sollte.

Ähnlich verhält es sich mit der Reinigung von Fassaden. Auch hier wird schnell vom Industriekletterer und handbetriebenen Arbeitssitzen gesprochen, anstatt die sichere Erreichbarkeit aus dem inneren des Gebäudes heraus zu gewährleisten oder technische Schutzmaßnahmen zu planen.

Da die Reinigung meist nur eine von mehreren Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten im Fassadenbereich ist, sollten die SiGe-Koordinatoren den Planern wichtige konstruktive Anstöße geben. In Ergänzung der tabellarischen Unterlage für spätere Arbeiten können Problemsituationen und Anforderungen direkt in den Plänen der Objektplanung gekennzeichnet werden.

Ebenfalls in der Planungsphase sind Überlegungen zu Baustelleneinrichtung und Baustellenordnung abzustimmen. So können hieraus entstehende erforderliche Schutzmaßnahmen und Notwendigkeiten in den Ausschreibungen berücksichtigt und Nachträge bzw. Stillstandzeiten abgewendet werden.

Frühzeitige SiGe-Koordination steigert Bauqualität und Kostensicherheit

Die beschriebenen Erfahrungen zeigen auf, dass das umfassende und ineinander greifende Leistungsbild der Koordination in Planungs- und Bauphase sein Potential nur bei frühzeitiger Einbindung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination voll entfalten kann.

Die hierdurch beförderte allgemeine Sicherheit von Arbeiten durch eine rechtzeitige und rechtskonforme Planung von Schutzmaßnahmen trägt dazu bei, die nachhaltige Bauqualität, Termin- und Kostensicherheit von Baumaßnahmen zu steigern.

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