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Nachgefragt bei: Elmar Dräger

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 19. Nov. 2020
Der Präsident der Ingenieurkammer Thüringen, Dipl.-Ing. Elmar Dräger, leitet hauptberuflich das eigene Geotechnik-Büro mit 70 Beschäftigten. Foto: Andreas Poecking / Ingenieurkammer Thüringen
Bild 1: Der Präsident der Ingenieurkammer
Thüringen, Dipl.-Ing. Elmar Dräger,
leitet hauptberuflich das eigene
Geotechnik-Büro mit 70 Beschäftigten.
Foto: Andreas Poecking /
Ingenieurkammer Thüringen

Dipl.-Ing. Elmar Dräger...

... ist geschäftsführender Gesellschafter der geotechnik heiligenstadt GmbH. Das Unternehmen mit rund 70 Beschäftigten erbringt europaweit Dienstleistungen im Grundbau und Erdbau. Es werden dabei die Bereiche Geotechnik, Umwelt und Baustoffe abgedeckt.

Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich in Heiligenstadt, der Kreisstadt des thüringischen Eichsfeldes. Weitere Standorte sind Leipzig und Haigerloch bei Tübingen.

Seit 2013 ist Dräger Präsident der Thüringer Ingenieurkammer. Mit 56 Jahren ist er damit aktuell der jüngste der 16 Kammerpräsidenten der Bundesländer.

Herr Dräger, was fordert Sie aktuell besonders in Ihrem Job?

In meinem Unternehmen sind wir gerade dabei, den Baugrund für das Europaprojekt Fehmarnbelttunnel zwischen Deutschland und Dänemark zu erkunden. Ähnlich große Bauprojekte, an denen wir aktuell mitwirken, sind der Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals, die Tagebau-Sanierung in der Lausitz oder der Ausbau der Eisenbahntrasse von Wien nach Bratislava. Aber auch alle kleinen Projekte gehören zum Tagesgeschäft, denn unser Anspruch ist es, immer höchste Qualität zu liefern.

Als Kammerpräsident beschäftigen mich derzeit vor allem drei Dinge. Dazu gehören die Frage nach auskömmlichen Honoraren für Ingenieurleistungen, das Fachkräfteproblem und die aktuelle Ausnahmesituation aufgrund der Pandemie.

Gute Honorare für unsere Ingenieure sind wichtig für die Baukultur. Mit Baukultur meine ich die gesamte gebaute Umwelt, also nicht nur schöne alte Architektur, sondern auch und vor allem die Infrastruktur unserer Städte, das Verkehrs- und Leitungsnetz und alle sonstigen menschgemachten Bauten.

Neben einer angepassten Honorarordnung, welche angemessene Honorare für Planungsleistungen und damit verbunden die Qualität im Baubereich sichert, brauchen wir in Thüringen eine Anpassung des Vergabegesetzes und der Bauordnungen, um einen größtmöglichen Planungsvorlauf zu erreichen.

Aktuell fehlen die fertigen Pläne, um Gelder, die wir vom Bund erhalten, auch nutzen zu können, weil die Vergabe zu lange dauert. Bayern und Niedersachsen haben hier bereits reagiert. Tut die Landesregierung in Erfurt nichts und werden im kommenden Haushalt nicht ausreichend Planungsmittel berücksichtigt, drohen fehlende Aufträge für die Planungsbüros und später auch die Bauunternehmen.

Hinzu kommt, dass die öffentliche Hand wahrscheinlich in den nächsten zwei Jahren mit Sanierungsmaßnahmen zurückhält, da die Krisenbewältigung Vorrang hat. Somit droht auch hier ein Auftragsrückgang.

Will man verhindern, dass die Beschäftigten der Baubranche auf staatliches Kurzarbeitergeld angewiesen sind, muss man jetzt Aufträge generieren, für die das Geld längst bereitsteht. Als Ingenieurkammer sind wir dazu im ständigen Dialog mit der Staatssekretärin im zuständigen Infrastrukturministerium.

Das Problem des Fachkräftemangels spüren wir als Auftragnehmer ebenso wie die öffentlichen Auftraggeber. Hier muss es ein Gleichgewicht und keinen Wettbewerb um die besten Köpfe geben. Wir beschäftigen in meinem Unternehmen bereits Fachkräfte aus Afrika und Syrien. Das allein ist aber nicht die Lösung.

Um für unsere Berufe zu werben, beteiligen wir uns am länderübergreifenden Schülerwettbewerb JuniorING sowie an anderen Kooperation mit Schulen und Fachhochschulen. Mit Lesepatenschaften erreichen wir bereits die Jüngsten. Hinzukommen müssen eine noch stärkere Öffentlichkeitsarbeit mit einem ständigen Zugang zu den Medien. Hieran arbeiten wir.

Die aktuelle Krise lässt sich nur durch eine gemeinsame Anstrengung aller gesellschaftlichen Bereiche gut bewältigen. Jedes einzelne Mitglied unser Ingenieurkammer ist aufgerufen, sich am gesellschaftlichen Diskurs zur Krisenbewältigung und darüber hinaus zu beteiligen.

Erst kürzlich wurde ein neuer Vorstand samt Präsident der Bundesingenieurkammer gewählt. Hatten Sie persönlich Ambitionen, für ein Amt auf Bundesebene zu kandidieren?

Als damaliger Sprecher des Länderbeirats der 16 Präsidenten habe ich die Findungskommission zur Besetzung des Präsidentenamtes ins Leben gerufen. Ziel war ein geordneter Übergang. Nachdem zwar aus verschiedenen Richtungen Rufe nach einem Vertreter der neuen Bundesländer laut wurden, ich aber von den zuständigen Stellen nicht direkt um eine Kandidatur gebeten wurde, habe ich darauf verzichtet.

Unser neuer Präsident mit seinem Vorstand ist die perfekte Wahl, aber ich will für die Zukunft nichts ausschließen. Aktuell sehe ich Thüringen mit Sylvia Reyer-Rohde im Bundesvorstand gut vertreten. Grundsätzlich herrscht in der Gruppe der Länderkammern ein sehr gutes und freundschaftliches Verhältnis.

Auf meine Initiative hin wurde im Rahmen der letzten Bundesingenieurkammer-Versammlung in Mainz mit der sogenannten Mainzer Erklärung [Anm. d. Red.: siehe Quellen und Verweise] ein Papier mit klaren Forderungen an die Politik von allen 16 Landesingenieurkammern gemeinsam unterzeichnet und anschließend veröffentlicht.

In diesem Positionspapier sehe ich ein starkes Argument bei Verhandlungen mit den jeweiligen Vertretern der Länder. Man kann als Landeskammer gegenüber der jeweiligen Landespolitik nun auf den Konsens aller Kammern in Deutschland verweisen.

Wie lange sind Sie schon in der Branche tätig und warum?

Ich habe 1986 mein Studium an der Bergakademie Freiberg aufgenommen. Nach meinem Diplomabschluss im Jahr 1991 war ich zunächst vier Jahre in Göttingen angestellt bevor ich mich entschlossen habe, etwas eigenes zu machen. Dann kam die Idee, ein Ingenieurbüro für Geotechnik zu gründen. Damit ging ich zu Beginn des Jahres 1995 an den Start, zunächst als Ein-Mann-Büro.

Mein Großvater hatte selbst auch ein Baugeschäft. Leider wurde er später enteignet, doch die Verbindung zum Bauen war für mich hier bereits gegeben. Als Kind habe ich mich dann auch, nachdem die Bauarbeiter Feierabend gemacht hatten, in Baugruben geschlichen und dort Erkundungen angestellt. Die verschiedenen Steine und Erden haben mich fasziniert und ich fing an, sie zu sammeln und genauer zu untersuchen.

Dieses Hobby habe ich schließlich zu meinem Beruf gemacht, weshalb ich seither, frei nach Konfuzius, nie wieder arbeiten musste. Gleichzeitig verbinden sich in der Geotechnik zwei für mich gleichwichtige und wertvolle Bereiche, nämlich zum einen die Geologie und damit verbunden die Natur und ihre Gegebenheiten und zum anderen die menschgemachte und -entwickelte Technik.

Darüber hinaus kann ich in der Funktion des Büroinhabers und Unternehmers meinen Charakter als Mensch, der gerne aktiv Verantwortung für sich und andere übernimmt, wunderbar ausleben. Der Slogan eines großen Sportartikelherstellers, welcher mir gleich am Anfang meines Berufslebens begegnete, wurde zu meinem Lebensmotto: "Just do it" – Mach es einfach.

Welche Wege geht Ihr Unternehmen in punkto Personalgewinnung?

Entscheidend für mich ist das Vertrauen in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn diese selbstständig arbeiten können und damit ihr eigenes unternehmerisches Denken stetig verbessern, motivieren sie sich quasi selbst und immer wieder neu.

Ein komplettes Draufschauen auf alle Prozesse, wie ich es vielleicht vor 20 Jahren noch gemacht habe, wäre heute schlichtweg nicht mehr möglich. Ebenso könnte ich das Amt des Ingenieurkammerpräsidenten dann nicht ausüben. Vielmehr läuft die Projektbearbeitung bei uns inzwischen komplett eigenständig. Ich unterschreibe oft am Ende einfach nur noch.

Für mich steht tatsächlich die vertrauensvolle Wertschätzung vor der Wertschöpfung. Die dabei auftretenden Fehler müssen tolerierbar sein, sind aber grundsätzlich okay. Wir leben eine sehr flache Hierarchie, wo sich alle mit "Du" anreden und viele auch außerhalb der Arbeit untereinander Freundschaften pflegen.

Den Einstieg bei uns kann man durch eine Ausbildung zum Baustoffprüfer und Bohrgeräteführer oder als Praktikant im Bachelorstudium an der Fachhochschule Nordhausen erhalten. Hier unterstützen wir auch mit Themen für Abschlussarbeiten.

Wer bei uns arbeitet, muss kein absoluter Experte sein, sondern vor allem ins Team passen. Das Team wiederum trägt den Einzelnen dann, auch wenn er womöglich noch fachliche Lücken hat, die sich immer schließen lassen. Fachidioten, mit denen es zwischenmenschlich nicht klappt, können hingegen einem Unternehmen mehr schaden als nützen.

Bereits vor der Corona-Pandemie haben wir die technischen Möglichkeiten für das Homeoffice bereitgestellt, was den Mitarbeitern privat hilft, die lange Fahrtzeiten zum Büro haben.

Das wir diese Arbeitskultur ermöglichen, wird geschätzt. Ein neuer Mitarbeiter zog für uns extra von Hamburg ins Eichsfeld. Der Verdienst ist bei solchen Entscheidungen oft zweitrangig.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: "Um erfolgreich zu planen und zu bauen kommt es in Zukunft darauf an, dass..."

das Bewusstsein für Baukultur in der Öffentlichkeit gestärkt wird. Der Bevölkerung muss klar sein bzw. klargemacht werden, dass eine moderne Gesellschaft ohne Ingenieure nicht lebensfähig ist.

Diese Feststellung traf auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und Präsident des deutschen Bundesrats Reiner Haseloff im Zusammenhang mit dem 100jährigen Bauhausjubiläum 2019. Die Politik kennt also die Problemlage.

Ein Beispiel dafür, wie hilfreich in der Öffentlichkeit präsente Ingenieure sein könnten, liefert die aktuelle Situation rund um den Weiterbau der A 49. Aus meiner Ingenieurssicht sind hier beide Seiten zu betrachten.

Der totalen Überlastung der bisherigen Straßeninfrastruktur und damit der stark beeinträchtigten Lebensqualität hier ansässiger Menschen steht der Schutz der Natur, konkret der des Dannenröder Forstes, gegenüber. Es muss, wie immer bei solchen Projekten, eine sachliche Interessenabwägung und ein ehrlicher Diskurs stattfinden.

Ingenieure und Planer können als fachliche Vermittler in solchen Diskursen aber nur helfen, wenn sie von den jeweiligen Auftraggebern dafür eingebunden werden.

In welche Technik bzw. IT investiert Ihr Unternehmen?

Sowohl die Hardware als auch die Software zur Projektbearbeitung im Bereich Geotechnik ist sehr speziell. Ein Beispiel wäre ein mobiles Drucksondiergerät zur Baugrunderkundung, welches in der Anschaffung etwa eine halbe Million Euro kostet (siehe Bild 2).

Mit mobilen Drucksondiergeräten werden geologische Beschaffenheiten untersucht. Foto: geotechnik heiligenstadt GmbH
Bild 2: Mit mobilen
Drucksondiergeräten werden
geologische Beschaffenheiten
untersucht. Foto: geotechnik
heiligenstadt GmbH

Wir beschäftigen einen eigenen IT-Manager und haben als eines der größten Geotechnikbüros in Deutschland auch eigene interne Schnittstellen für einzelne Computerprogramme entwickelt. Viele unserer jungen Mitarbeiter haben bereits digital studiert, weshalb wir intern auch über wertvolles Know-how im Umgang mit moderner Software und sogar deren Entwicklung verfügen.

Über ein Firmenintranet haben unsere Mitarbeiter weltweit Zugriff auf Projekte und Geräte. Untersuchungen vor Ort können online live vom Büro aus mitverfolgt werden. Das Building Information Modeling wird bei uns zu über 50 Prozent in der Projektbearbeitung genutzt.

Wir sehen uns nicht wirklich im Wettbewerb mit anderen Geotechnikfirmen, von denen es auch nicht sehr viele gibt, sondern geben im Gegenteil sogar Aufträge an Partnerunternehmen weiter, wenn wir sie selbst nicht schaffen.

Dennoch wollen wir natürlich dem Markt gerecht werden und für unsere Kunden, darunter die Deutsche Bahn oder verschiedene Bergbau- und Wasserbauinstitute, Lösungen auf dem neusten Stand der Technik anbieten. Dafür reinvestieren wir permanent.

Welchen Wunsch haben Sie an die Politik?

Roman Herzog forderte 1997 in seiner berühmten Berliner Rede: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen." Das wünsche ich mir angesichts der aktuellen Lage auch. Meine Hoffnung besteht darin, dass wir als Kammern und sonstige Gremien mit der Politik die Probleme gemeinsam anpacken.

Dazu zählt speziell in meinem Bundesland die Entbürokratisierung mit einer schnelleren Vergabe. Dadurch würden dringend benötigte Kapazitäten und Fachkräfte frei. Konkret fordere ich für Planungsleistungen das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb unter Einhaltung der Vorgaben der HOAI. Es ist ein Leistungswettbewerb und kein Preiswettbewerb erforderlich.

In anderen Bereichen, wie dem Medizinsektor, ist das bereits möglich. Die Auftraggeber können dabei Angebote einholen und annehmen, ohne Vergleichsangebote vorweisen zu müssen. Das würde uns jetzt und auch nach der Krise enorm helfen.

Wie sieht Ihre individuelle Weiterbildung aus?

In Thüringen haben wir mit der Bauhaus Akademie Schloss Ettersburg, welche unter anderem von der Landesingenieurkammer getragen wird, eine hervorragende Adresse für die berufliche Weiterbildung im Bauwesen.

Etwas entspannt sich der Bedarf an Fortbildungen für meinen Fachbereich dadurch, dass wir es in der Geotechnik prinzipiell immer mit den gleichen Stoffen und Verfahren zu tun haben. Essentiell für mich ist jedoch eine gute Menschenkenntnis, die man nur im täglichen direkten Umgang miteinander erwirbt. Bei all unseren Projekten hilft oft auch nur die Erfahrung, da der Baugrund und damit die Geotechnik teilweise unberechenbar sind.

Welchen Ausgleich haben Sie zum Beruf?

Rund um meine Heimatstadt Heiligenstadt genieße ich die ländliche Natur am liebsten auf dem Mountainbike. Im Sommer dürfen es auch gerne weitere Strecken mit dem Motorrad oder mal eine Rafting-Tour sein.

Grundsätzlich setze ich in meiner Freizeit lieber auf Aktivurlaube (als auf Erholung) mit Wandern oder Ähnlichem. Nur, wenn mich etwas körperlich und geistig vollkommen fordert, kann ich den Alltag hinter mir lassen und somit entspannen.

QUELLEN UND VERWEISE:

Bundesingenieurkammer: Neuer Präsident in Sorge über Autobahngesellschaft
Mainzer Erklärung der Länderingenieurkammern